Freikirchen diskutierten über Radikalisierung im Namen der Religion

Vortragende beim Symposium

Dr. Timothée Bouba (Kamerun), Dr. Samuel Johnson (Kamerun), Prof. em. Dr. Erich Geldbach und Prof. Dr. Andrea Strübind, Bild: Edgar Lüllau

(22.10.2016) Radikalisierung im Namen der Religion – zu diesem Thema diskutierten Theologen und theologisch Interessierte auf dem Symposion der "Gesellschaft für Freikirchliche Theologie und Publizistik" in der Baptistengemeinde am Südring in Nürnberg. Zwei öffentliche Vorträge von Prof. Dr. Reinhold Bernhardt (Basel) und Prof. Dr. Ralf Miggelbrink (Duisburg-Essen) rahmten das Symposion.

Bernhardt führte aus, dass im Titel des Symposions das instrumentalistische Verständnis von Religion sichtbar werde. Religion sei nicht die Ursache von Gewalt, Terror und Krieg. Sie könne aber instrumentalisiert werden und so zur Verstärkung von Konflikten bis hin zur Dämonisierung des Anderen führen. „Religion ist nicht der Sprengstoff, sondern das Öl, das ins Feuer gegossen wird“, sagte Bernhardt. 

In der Neuzeit sei es zu einer gewaltbereiten Radikalisierung Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gekommen. Die drei monotheistischen Religionen „erhoben den Anspruch auf Gestaltung der Politik und der Gesellschaft“ und setzen ihn teilweise durch. Bernhardt erinnerte an Ereignisse, die sich damit verbinden: Menachem Begin wird Ministerpräsident von Israel, Kardinal Karol Wojtyla wird Papst Johannes Paul II, die „Moral Majority“ verhilft Ronald Reagan zur Präsidentschaft in den USA und die Iranische Revolution unter Ayatollah Khomeini setzt sich durch. Im Folgenden hätten sich in jeder der drei abrahamitischen Religionen gewaltbereite Zellen entwickelt, die ihre Überzeugung auch mit Terror durchzusetzen suchten. Bernhardt beschrieb ein Zusammenspiel von psychologischen, soziologischen und theologischen Faktoren bei der Radikalisierung einzelner Menschen.

Dr. Timothée Bouba Mbima (Kamerun) forderte in seinem Vortrag das Programm einer religiösen Erziehung, die zur gesellschaftlichen und staatlichen Stabilität beiträgt. Die Einrichtung eines Dialoges zwischen den Religionen und der politischen Macht wäre eines der wichtigsten Werkzeuge für die Stabilität des Staates. Die Basis ist gegenseitige Anerkennung und der Respekt.

Dr. Zachée Betché (Neuchatel) zeigte in seinem Vortrag den theologischen und historischen Nährboden für die Legitimierung des Terrors auf. Er benannte lokale Probleme und von außen hineingetragene geopolitische Faktoren und Implikationen, die den Terror nähren. Eine Lösung sieht er in der Bildung der Bevölkerung und im Dialog der Religionen. Der interreligiöse Dialog und seine Reflexion muss so entwickelt und gestärkt werden, dass er zum Frieden dient. Zwei weitere Vorträge von Dr. Samuel Johnson (Montpellier) und Christian Hamidou Hassana (Hamburg) ergänzten den Blick auf den afrikanischen Kontext des Themas.

In ihrem exegetischen Vortrag zeigte Dr. Friederike Neumann (Oldenburg) den unterschiedlichen Umgang mit dem Gewaltbegriff in den Schriften des Alten Testaments auf. Ihr Resümee: „Gott lässt sich nicht zum Feind unserer Feinde machen.“. Für das Neue Testament widersprach Simon Werner (Elstal) der These, dass es sich bei dem Neuen Testament ausschließlich um eine „Urkunde der Friedfertigkeit“ handele. Kontext und Sprache weisen aus heutiger Sicht auf einen unreflektierten Umgang mit Gewalt. Selbst das „Kreuz“ lässt sich nicht nur als Ort der Gewaltüberwindung deuten. Es sei auch der Ort, an dem sich Gewalt verfestige.

Dass Radikalisierung der Religion nicht nur ein Problem für den Islam ist, zeigte sich im Vortrag von Dr. Hermann Hartfeld (Brühl). In der Beziehung zwischen Christen aller Konfessionen im Russland-Ukraine Konflikt positioniere man sich gegen die eigenen Glaubensbrüder auf der anderen Seite und sei bereit, dafür auch die Waffe in die Hand zu nehmen und zu töten.

Welche Möglichkeiten Einzelne und Gemeinden haben, einer Radikalisierung entgegen zu wirken, damit befasste sich Sandra Lenke. Sie machte Mut interreligiöse Beziehungen bewusst einzugehen, dabei aber nicht nur das Gemeinsame zu betonen, sondern sich auch über die Unterschiede und die problematischen Seiten zu verständigen. „Interreligiöse Begegnungen wirken präventiv, wenn ein gemeinsames ‚Wir‘ entsteht“.

Prof. Ralf Miggelbrink nahm in seinem Vortrag die These von René Girard auf, dass „der Anfang jeder Kultur ein mörderischer Wettstreit“ gewesen ist und „die Schuld einer Gründungsgewalt“ in sich trägt. Die gilt es durch Opfer-Rituale immer neu zu sühnen. Das Opfer bannt die Gewalt. Der christliche Glaube gewinnt im Anschauen des Opfers Christi die Ermöglichung, Motivation und Kraft, keine Opfer mehr erbringen zu müssen.

Ein Friedensgottesdienst, in dem die mennonitische Pastorin Liesa Unger (Regensburg) zur radikalen Friedensnachfolge Jesu aufrief, beendete das Symposion. Die Vorträge des Symposions werden im 22. Band der Zeitschrift Theologie und Gemeinde (ZThG) im Mai 2017 veröffentlicht.

Text: Bernd Densky