ACK Region Südwest: Tagung zu ökumenischer Spiritualität in Kloster Gnadenthal

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Tagung "Ökumenische Spiritualität" im Kloster Gnadenthal

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Tagung "Ökumenische Spiritualität" im Kloster Gnadenthal

(09.09.2019) Wodurch zeichnet sich christliche Spiritualität aus? Worin bestehen die Besonderheiten katholischer, evangelischer, freikirchlicher und orthodoxer Spiritualität? Was könnten Grundzüge einer ökumenischen Spiritualität sein und worin liegt ihre Bedeutung für die Suche nach der Einheit der Kirche? Mit diesen Fragen befasste sich eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in der Region Südwest und der Evangelischen Kirche im Rheinland zusammen mit dem Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und dem Institut für Evangelische Theologie an der Universität Koblenz-Landau. Theologinnen und Theologen aus unterschiedlichen Konfessionen kamen im hessischen Kloster Gnadenthal zusammen, um die Vielfalt der geistlichen Reichtümer in den unterschiedlichen Konfessionsfamilien kennenzulernen und so den Blick auf die eigene Frömmigkeit und auf andere Glaubenstraditionen zu verändern.

Für Thorsten Dietz, Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule TABOR in Marburg, ist christliche Spiritualität der „Versuch, die durch die zunehmende Säkularisierung verlorengegangene Einbettung des Menschen in Gemeinschaft, die Welt und seinen Körper durch sinnliche Erschließungserfahrungen wiederzufinden“. Eine solche Spiritualität entfalte sich in drei Spannungen: „zwischen der unmittelbaren und unverfügbaren Begegnung von Gott und Mensch und der Notwendigkeit, ihr durch Übungen wie Gebet und Gottesdienst einen Raum zu bereiten“. Zwischen der „Transzendenz des immer größeren Gottes und seiner Greifbarkeit in konkreten, sinnlich wahrnehmbaren Medien“. Und zwischen dem „freien Geschenk der Gnade Gottes und einem nicht linear verlaufenden Wachstum im Glauben“. Mit Blick auf das ökumenische Miteinander der Konfessionen plädierte Dietz dafür, „andere Spiritualitäten angstfrei wahrzunehmen und zuzulassen“ und Orte und Räume zu eröffnen, „in denen Menschen vielfältige geistliche Erfahrungen machen können“.

Für eine Weitung des Begriffs „Katholisch“ warb Klaus Vechtel, Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Katholische Spiritualität zeichne sich nicht dadurch aus, dass sie sich an katholischen Identitätsmarkern wie dem Papstamt oder einer marianischen Prägung orientiere. Es gehe vielmehr darum, dass sich „die qualitativ-umfassende Liebe Gottes eine quantitativ-konkrete Gestalt“ sucht. Weil in der Neuzeit die Transparenz der Welt auf Gott hin verlorengegangen ist, suche christliche Spiritualität nach dem, „was hinter der Leere liegt“, und versuche im Gegensatz zu postmodernen säkularen Spiritualitäten „das Nicht-ohne des Göttlichen geltend zu machen“. Zugleich realisiert sie sich „in einem guten weltlichen Leben, das immer schon ein frommes Leben ist, weil auch Gott die Welt liebt“, und in der „Erfahrung des Verdankt-Seins“. Dieses Verdankt-Sein wiederum komme in der Eucharistie am dichtesten zum Ausdruck.

„In der evangelischen Kirche hat der Begriff Spiritualität erst seit den 1970er Jahren Fuß gefasst.“ Darauf wies Dr. Peter Zimmerling, Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, hin. Evangelische Spiritualität sei seit der Reformation von zwei gegenläufigen Bewegungen geprägt: Zum einen von einer „Konzentration auf das Wesentliche“ bzw. einer „Ausscheidung des Unnötigen“, wozu etwa das Pilgern zählte. Zum anderen von einer „Grenzüberschreitung“ bei der Suche nach Orten gelebten Glaubens: vom Kloster in die Welt, in Gesellschaft, Beruf und Familie. Ebenso wesentlich für protestantische Spiritualität, so Zimmerling, sei ihre Pluralität, die eine Chance ist, „dass viele Menschen den Glauben angemessen leben können“. Zu ihr gehört deshalb Mystik genauso wie politisches Engagement, Liturgie und Gesangbuch genauso wie diakonisches Handeln, traditionelle monastische Lebensformen genauso wie moderne Phänomene, etwa charismatische Ausdrucksformen des Glaubens.

Exemplarisch am Leben Freier evangelischer Gemeinden zeigte Jochen Wagner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau und Gemeindepastor, die Kennzeichen freikirchlicher Spiritualität auf. Geprägt von Pietismus und der Erweckungsbewegung sei Apg 2,42 als „Leitbild einer frei-evangelischen Spiritualität“ anzusehen. Wagner warf in diesem Zusammenhang einen durchaus selbstkritischen Blick auf manche Entwicklungen innerhalb seiner Konfessionsfamilie und sprach sich für eine „Diskussion über die Bedeutung der Inspiration der Heiligen Schrift und eine weitere theologische Reflexion über das Gebet an sich“ aus. Freikirchliche Spiritualität sei zudem von der „persönlichen Aneignung des Glaubens und der Achtung des Gewissens des Einzelnen“ geprägt, ebenso vom Gedanken der Nachfolge, einem missionarischen Lebensstil und einer „protestantischen Bußfrömmigkeit“. Für die Zukunft, so Wagner, komme es darauf an, „die alten Gräben zwischen Frommen und Aktiven zu überwinden“ und eine Spiritualität zu pflegen, „die Freiheit ermöglicht und vielfältig ist“.

Einen Seitenblick auf moderne Spiritualität warf Holger Pyka, neben seiner Tätigkeit als evangelischer Gemeindepfarrer nach eigener Aussage „promovierter Karnevalist, Hobby-Cartoonist, Poetry-Slammer, Musiker und Teilzeit-Blogger“. Auch auf Zukunft hin solle christliche Spiritualität ihre klassischen Kennzeichen aufweisen und „bibelorientiert-evangelistisch, liturgisch-meditativ und emanzipatorisch-politisch“ sein. Daneben biete jedoch vor allem die digitale Welt einen wichtigen Raum, in dem die Kirchen ihre Botschaft verbreiten und Menschen Glaubenserfahrungen machen können. Verbreiteten Ängsten, etwa der, dass in der digitalen Welt keine körperlichen und gemeinschaftlichen Erfahrungen gemacht werden können, begegnete Pyka mit dem Hinweis: „Auch beim Bedienen des Handys ist der Körper beteiligt, nur mit anderen Körperteilen: den Fingern und Augen. Und auch in Chatgruppen können sich Menschen zu Gemeinschaften zusammenschließen.“

In ihrem abschließenden Vortrag arbeitete Jutta Koslowski, Lehrbeauftragte für ökumenische Theologie und interreligiöses Lernen an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg, Grundzüge einer ökumenischen Spiritualität heraus. Eine solche zeichne sich dadurch aus, dass sie zugleich „in die Tiefe, zum Wesentlichen des Glaubens, in die Weite, zu den Schätzen der anderen, und in die Höhe, zu Gott selbst, führt“. Sie verbinde die unterschiedlichen Traditionen „nicht nur patchworkmäßig, sondern schaffe unter ihnen eine organische Verbindung“. Denn, so Koslowski, „jede Konfession hält Heilmittel für die Einseitigkeiten der anderen Konfessionen in der Hand“. Zugleich komme es darauf an, ökumenische Spiritualität durch das Gebet um die Einheit und für die ökumenischen Partner, durch Kontakte und persönliche Beziehungen konkret umzusetzen. So könne ökumenische Spiritualität „ein effektiver Beitrag für die ökumenische Bewegung“ sein.

In den lebendigen Diskussionen wurde unter anderem auf die Zunahme säkularer Liturgien und die Notwendigkeit, geistliche Erfahrungen in anderen Religionen stärker in den Blick zu nehmen, hingewiesen. Auch die Gefahr geistlichen Missbrauchs in der geistlichen Leitung und Begleitung sowie in Orden und anderen geistlichen Gemeinschaften kam zur Sprache. Workshops zur Spiritualität der östlichen Kirchen, zur monastischen Spiritualität und zu ökumenischen Exerzitien im Alltag, kreative Angebote, ein BibelTeilen und die Teilnahme an den Gebetszeiten der ökumenischen Kommunität Jesus-Bruderschaft rundeten die Veranstaltung ab. Ein Sammelband mit allen Vorträgen der Tagung ist in Planung.

Text und Bild: ACK Südwest