Auch eine säkulare Gesellschaft braucht die Kirchen

Podium

Von links nach rechts: Erzpriester C. Miron (OBKD), Bischof K.-H. Wiesemann (Vors. ACK), Pastor F. Schneider (Baptisten), Oberkirchenrat C. Fuhrmann (Ev. Kirche Mitteldeutschland) und Generalsekretär C. Stiba (Baptisten), Foto: ACK

(29.04.2018) In verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen werden die Kirchen als Akteure gebraucht und nehmen Aufgaben wahr, die von Seiten des Staates nicht erledigt werden können. Das verdeutlichte eine Tagung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland in Zusammenarbeit mit der Akademie des Bistums Mainz vom 27.-28 April 2018 im Erbacher Hof in Mainz. Unter dem Motto „Aus dem Glauben Gesellschaft gestalten?“ beleuchteten evangelische, katholische, freikirchliche und orthodoxe Theologen sowie Vertreter der Politik die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft. 

Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse haben auch die Kirchen und deren Rolle in der Gesellschaft verändert, verdeutlichte der Vorsitzende der ACK Deutschland, Bischof Karl-Heinz Wiesemann (Speyer). Aber den wahrnehmbaren Bedeutungsverlust der Kirchen dürfe man nicht beklagen, sondern müsse dies als Chance begreifen. „Das globale Zeugnis der Kirchen ist gefragt, um die religiösen sowie auch die demokratischen Wurzeln der Gesellschaft gemeinsam zu stärken“, sagte Bischof Wiesemann. Die Aussage des christlichen Glaubens, dass der Mensch eine unverlierbare Würde besitzt, müssten die Kirchen als politisches Programm stark machen, unterstrich Erzpriester Constantin Miron (Köln), stellvertretender Vorsitzender der ACK in Deutschland und Ökumenebeauftragter der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland. Diese Haltung vorzuleben und in die gesellschaftlichen Prozesse einzubringen, sei eine gemeinsame Aufgabe der Kirchen, sagte Christoph Stiba, stellvertretendes Vorstandsmitglied der ACK in Deutschland und Generalsekretär des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten).  

Kirchen dürfen keine Wagenburgmentalität entwickeln

Auch wenn die christlichen Kirchen Mitglieder verlieren, würden der christlichen Glaube und die Kirchen auch von konfessionslosen und areligiösen Menschen für ihre Haltungen und Werte geschätzt, verdeutlichte der Politikwissenschaftler und Publizist Andreas Püttmann. Er warnte die Kirchen davor, eine Wagenburgmentalität zu entwickeln und sich aus den gesellschaftlichen Bezügen auszuklinken. Die Rede vom „Gesundschrumpfen“ der Kirche führe in die Irre und verdunkle den Missionsauftrag, den Christen gerade in einer säkularen Gesellschaft hätten. Die Folge könne Dialogunfähigkeit und sektiererische Verengung der Glaubensbotschaft sein, die dann zur „Krankschrumpfung“ führe und den Relevanzverlust vorantreibe. Die Kirchen seien weiterhin gefragt und müssten deutlich ihre Stimme erheben: „Als sozial prägende Kraft bleiben christliche Glaubensüberzeugungen ein politischer Faktor im sich säkularisierenden und religiös pluralisierenden Europa.“ 

Menschenrechte und Freiheit als christliche Grundüberzeugungen

Die Ausformulierung der Menschenrechte sei nichts anderes als eine „Ausformulierung des Evangeliums“, stellte der Freiburger römisch-katholische Fundamentaltheologe Magnus Striet fest. Jesus habe selbst eine Kultur der Wertschätzung und Toleranz geprägt. Diese Werte gelte es, als Kirchen im gesellschaftlichen Prozess aufrecht zu erhalten. Um eine solche Kultur zu prägen, müssen die Kirchen sich auf die Welt einlassen und sich in ihr auskennen. „Die Verantwortung der Kirchen ist vom Evangelium her und der darin begegnenden Menschenliebe Gottes immer auch eine Verantwortung für die Erhaltung und Pflege solcher gesellschaftlichen Strukturen, die der Religions- und Gewissensfreiheit, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung dienen und den Dialog der Religionen und Weltanschauungen ermöglichen“, sagte der freikirchliche Dogmatiker Markus Iff, Professor an der Theologischen Hochschule Ewersbach.  

Politische Stellungnahmen der Kirchen sind erwünscht

Es gehöre zum Auftrag der Kirchen, sich zu gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen zu äußern, sagte der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert. Dabei müsse den Kirchen aber klar sein, dass ihre Meinung nicht die allein gültige sei. „Die Kirchen sind keine letztgültige Moralinstanz, aber sie tragen wesentlich zur Orientierung in unserer Gesellschaft bei“, so Lammert. Als Beispiel nannte Lammert alle Fragen, die den Anfang und das Ende des Lebens betreffen. Für die parlamentarische Entscheidungsfindung sei die ethische und theologische Orientierung der Kirchen notwendig und hilfreich. Die Orientierung am christlichen Glauben ermögliche es, gerade in schwierigen Fragen zu gemeinsamen Entscheidungen jenseits der parteipolitischen Linien zu kommen, sagte Karin Kortmann, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Kirchen sollen auch unbequem sein

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Peter Tauber meinte, die Kirchen müssten unbedingt zu politischen Debatten Stellung beziehen. Dabei dürften sie aber nicht parteipolitisch agieren. Er hielt es für falsch, die „Kirche auf die zeitlose und gegenwartsfreie Verkündigung der Heiligen Schrift reduzieren zu wollen“. Die Kirche dürfe auch unbequem sein: „In gleicher Weise, wie der christliche Glaube uns Mut und Freude macht, muss er fordern und uns zweifeln, ja auch manchmal verzweifeln lassen an den Aufgaben und der Radikalität der frohen Botschaft. Auch darin manifestiert sich die Aufgabe der Kirche in unserer Gesellschaft."

Gemeinsame Verantwortung von Kirche und Staat

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, verdeutlichte die wichtige Rolle der Kirchen in ihrem diakonischen Handeln. „Wir wollen die Diakonie nicht als Kontrastgesellschaft entwickeln, sondern als gesellschaftsverändernde Kraft aus dem christlichen Glauben.“ Dazu müssten aber auch von der Politik die ausreichenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die professionelle Arbeit der Diakonie sieht Lilie allerdings durch widersprüchliche Vorgaben der Sozialpolitik immer wieder behindert. Lilie unterstrich, dass die Kirchen gemeinsam mit dem Staat die Aufgabe hätten, die Sozialräume gut zu gestalten. Dazu brauche es neben einer wertschätzenden und kritischen Partnerschaft von Kirche und Staat auch die Bereitschaft der Kirche und ihrer Diakonie, sich immer wieder auf neue Konzepte und Projekte einzustellen. Religiöse Akteure gehörten auch weltweit zu den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Kräften und seien vielfältig für nachhaltige Entwicklung engagiert, zeigte Thomas Lawo von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit auf. Für eine gerechte Entwicklung der Gesellschaft brauche es daher unbedingt ein partnerschaftliches Miteinander von Religion und Politik.

Bildergalerie zur Tagung

Bericht SWR aktuell Rheinland-Pfalz zur Tagung

Hinweis: Die einzelnen Redebeiträge der Tagung sollen in einer Publikation veröffentlicht werden.