DÖSTA-Vorsitzender Thomas Söding wirbt für eine "proaktive Ökumene"

Professor Thomas Söding (Bochum), Vorsitzender des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA), Foto: RUB

Professor Thomas Söding (Bochum), Vorsitzender des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA), Foto: RUB

(12.09.2018) Thomas Söding, Professor für Neutestamentliche Exegese an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum, ist seit 2015 Vorsitzender des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA) der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Im Interview mit den Ökumenischen Informationen der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA ÖKI) äußerte er sich zum Jubiläum des Augsburger Bekenntnisses und den Chancen eines ökumenischen Katechismus.

KNA Herr Söding, welchen Beitrag kann der DÖSTA für die innerdeutsche Ökumene leisten?

Söding Der DÖSTA ist so etwas wie die Glaubenskommission oder die Theologische Kammer der ACK. Er ist so breit aufgestellt wie die Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft selbst. Das ist seine einmalige Chance. Wo sonst treffen sich orthodoxe, altorientalische, freikirchliche, lutherische, reformierte, altkatholische und römisch-katholische Theologinnen und Theologen regelmäßig, um im Auftrag der Kirchen, die sie entsenden, und der ACK, die sie beruft, zentrale Themen ökumenischer Theologie in gebotener Gründlichkeit, aber auch in aktueller Aufmerksamkeit zu diskutieren und zu publizieren? Zwei Faktoren sind wesentlich: Zum einen dass der DÖSTA tatsächlich auf theologische Kompetenz setzt, also profilierte und engagierte Vertreterinnen und Vertreter nicht nur verschiedener Konfessionen, sondern auch verschiedener theologischer Disziplinen gewinnen kann, und zum anderen dass der DÖSTA solche Themen aufgreift, die viel besser erörtert werden können, wenn die Breite und Tiefe der ökumenischen Bewegung qualifiziert zu Wort kommt, die aber auch der ökumenischen Bewegung selbst Impulse verleihen können. Beides ist, Gott sei Dank, immer wieder gelungen: einerseits durch Langzeitstudien, die in enger Abstimmung mit der ACK vorbereitet worden sind, zuletzt zur Gottesfrage (Ökumenische Impulse zum Gespräch mit dem „Neuen Atheismus" 2017) und im aktuellen Entstehungsprozess zu Diaspora und Mission, aber auch andererseits durch konzentrierte Publikationsprojekte, wie zuletzt über „Kontroverse Freiheit. Impulse der Ökumene" (2017) und demnächst über die Einheitskonzepte, -erfahrungen, -befürchtungen und -hoffnungen, die in der Ökumene zu Hause sind. Ich bin befangen – aber überzeugt: Der DÖSTA ist ein theologisches Laboratorium der multilateralen Ökumene und ein theologisches Leuchtfeuer in der kirchlichen wie der akademischen Landschaft, der über Deutschland hinaus strahlt.

KNA Im Jahr 2030 wird im Anschluss an 2017 die ökumenische Bedeutung des Augsburger Bekenntnisses viel Beachtung finden. Halten Sie es für möglich, dass sich bei dieser Gelegenheit die ganze Ökumene in Deutschland – vielleicht durch den DÖSTA – an den Erörterungen zu Fragen des Bekenntnisses, an kritischen Rückblicken und einer ökumenischen Zukunftsschau beteiligen kann?

Söding Blicken wir kurz auf 2017 zurück, die Gedenkfeiern zum Auftakt der Reformation vor einem halben Jahrtausend: Für die Mitgliedskirchen der EKD und für die römisch-katholische Kirche in Deutschland waren sie ein ökumenisches Ereignis ersten Ranges. Aber in der multilateralen Ökumene war noch sehr viel Luft nach oben. 2030 ist eine sehr gute Gelegenheit, die Dynamik nicht zu verlieren, aber das Spektrum zu erweitern. Man muss realistisch bleiben: 2030 wird nicht eine so starke Resonanz finden wie 2017. Aber das braucht kein Nachteil zu sein. Die Confessio Augustana wollte selbst ein Dokument versöhnter Einheit werden. Sie hat sich auf die theologischen Kernfragen des christlichen Glaubens und des Kirchenverständnisses konzentriert. Deshalb bietet sie nicht nur für Lutheraner und Katholiken, sondern für alle ACK-Kirchen die Chance, die wesentlichen Fragen zu diskutieren, die das Christsein ausmachen: nicht nostalgisch, sondern programmatisch. Das ist aus meiner Sicht heute der wichtigste Beitrag der Ökumene in einer Gesellschaft, die viel religiösen Analphabetismus kennt und sich vor religiösem Fundamentalismus hüten muss. Der DÖSTA, so wie ich ihn kennengelernt habe, wird am Ball bleiben. Er ist bereit, zusammen mit anderen Theologiepools, z.B. der Kammer für Theologie der EKD, dem „Ökumenischen Studienausschuss" der VELKD und der Glaubens- und der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz, die Reflexion voranzutreiben. Aber wenn die „Großen" lieber unter sich bleiben wollen, wird er sich nicht in die Schmollecke zurückziehen, sondern selbstbewusst von sich aus das Wort ergreifen. 

KNA Das 1530 auf dem Reichstag in Augsburg vorgelegte Bekenntnis bildete in den folgenden Jahren auch eine Basis für „Religionsgespräche". Es war damals wie ein letzter Versuch, die organisatorische Einheit der westlichen Kirche zu retten. Können Sie sich in Verbindung mit dem Jubiläum vorstellen, eine Art ökumenische Zwischenbilanz über heute Erreichtes zu ziehen?

Söding Eine „Zwischenbilanz" ist mir zu wenig. Ich will nach vorne blicken. Aus zwei Gründen: Ja, es ist nötig, das in ökumenischen Gesprächen mühsam Erreichte nicht zu verlieren, sondern im lebendigen Bewusstsein zu halten – aber es stellen sich ständig neue Fragen, die von neuen Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmern beantwortet werden müssen; und Ja, es ist viel erreicht worden, aber es ist auch sehr viel an Gemeinsamkeiten, an Anerkennung und Fortschritt nicht erreicht worden. Die „sichtbare Einheit" ist das erklärte Ziel der Ökumene; auch die Charta Oecumenica hat das klar zum Ausdruck gebracht: Warum sprechen wir nicht offener darüber? Das „organisatorisch" würde ich erst einmal weglassen. Wir wollen ja keine Einheitskirche, die sich in erster Linie durch eine effiziente Hauptverwaltung oder etwas in der Art definiert. Wir wollen, hoffe ich, eine Einheit im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung. Wie kann die aussehen, ohne dass die Vielfalt der Stimmen, die gerade in der ACK und im DÖSTA zu Gehör kommen, reduziert wird? Und wie kann die Fülle, die Widersprüchlichkeit, die Unterschiedlichkeit der Glaubensgeschichten so entdeckt werden, dass nicht eine schreckliche Kakophonie, sondern vielleicht sogar ein vielstimmiger Chorsatz entsteht? Wenn das gelingt, bewahrheitet sich die Inspiration des Apostels Paulus: Je mehr Einheit, desto mehr Vielfalt – und je mehr Vielfalt, desto mehr Einheit, weil die Fülle der Charismen die Chancen erhöht, anderen Nutzen zu bringen, und weil die Einheit in Gott selbst begründet ist, der alles Leben und jeden Glauben erschafft.

KNA Könnte eine Zwischenbilanz mit handgreiflichen Ergebnissen vielleicht helfen, den Blick von den negativen Dauerbrennern, besonders der eucharistischen Gemeinschaft, auf positive Entwicklungen zu lenken und wieder mehr von Begeisterung getragene realistische Erwartungen zu wecken?

Söding Ein wenig mehr Spirit im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils würde ich mir als katholischer Theologe schon wünschen. Ich kann ja nicht übersehen, dass es eine Menge Ängstlichkeit und Vorbehalte, teils aber auch nur Unaufmerksamkeit und Profilneurose in meiner Kirche gibt. Weil ich katholisch bin, verstehe ich auch gut, dass die gemeinsame Eucharistie für viele eine Herzenssache der Ökumene ist. Deshalb bin ich froh, dass die Deutsche Bischofskonferenz mit einer „Orientierungshilfe" konfessionsverbindenden Eheleuten den Weg einer Gewissensentscheidung zu einem gemeinsamen Kommunionempfang geöffnet hat. Das ist mehr als „Gastfreundschaft"; es ist die Vorwegnahme einer Einheit, auf die wir noch zugehen. Aber Sie haben Recht: Leider Gottes droht die Fixierung auf dieses Sakrament viele weitere Entwicklungen zu blockieren. Ich schaue da auch auf den 3. Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt, der an der ungelösten Abendmahlsfrage nicht scheitern darf. Wir brauchen stärkere Gemeinsamkeiten in der Katechese und im Religionsunterricht. Wir brauchen eine abgestimmte politische Interessenvertretung, vor allem in der Armutsbekämpfung. Wir brauchen eine entwickelte ökumenische Gottesdienstkultur – nicht nur am Pfingstmontag. Ich bin aber nicht mutlos, sondern optimistisch, dass sich dies alles noch stärker entwickeln wird, als wir es jetzt schon sehen: Die Zeit ist reif; die Menschen erwarten es; die Kirchen können es. Ich bin überzeugt, dass es Gottes Wille ist.

KNA Melanchthons Bekenntnis-Formulierungen sind nicht nur im Lutherischen Weltbund wie ein Band der Einheit. Sie haben im Lauf der Geschichte unterschiedliche nachreformatorische Bekenntnisse verschiedener Konfessionen bereichert. Wäre das nicht ein Grund, im 21. Jahrhundert diese multilaterale, weltweite Verbundenheit zu würdigen, auch wenn es 1555 in Augsburg auf einen Schritt hinauslief, der uns jetzt zu schaffen macht?

Söding Der Augsburger Religionsfrieden 1555 war besser als jeder Konfessionskrieg und hat immerhin mehr als 60 Jahre Frieden bewirkt, obwohl er den Dreißigjährigen Krieg dann doch nicht verhindern konnte. Aber er war auch der Indikator einer tiefen Krise politischer Theologie: einer Symbiose von Kirche und Staat, die immer ambivalent ist. Die Politik wollte die Religion domestizieren, um staatliche Einheit zu fördern, die Religion sich der Politik bedienen, um eigene Freiräume zu gewinnen. Heute haben wir in einem demokratischen Rechtsstaat freilich viel bessere Möglichkeiten als frühere Generationen, der jesuanischen Fundamentalunterscheidung: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist" (Mk 12,17) gerecht zu werden. Das, „was Gottes ist", darf nur um Himmels willen nicht mit dem gleichgesetzt werden, was „der Kirche ist". Die Kirche hat – in all ihren Konfessionen und Denominationen – vielmehr die Aufgabe, die Unterscheidung geltend zu machen. Das heißt heute in erster Linie: den Glauben an den einen Gott, Vater, Sohn, Heiliger Geist, in einer verständlichen und verbindlichen Sprache so zu artikulieren, dass säkularisierte, aber auch jüdische, islamische oder anders religiöse Zeitgenossen überhaupt die Möglichkeit erhalten, zu erkennen, was das christliche Evangelium ist, um daraus ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Das ist auch politisch grundlegend: Das Christentum muss immer wieder neu den Nachweis führen, dass es keinen Hass im Herzen trägt, sondern zeit- und selbstkritisch ist, aber Frieden zu stiften nicht nur willens, sondern auch in der Lage ist. Wie die christlichen Kirchen miteinander umgehen, wird nicht nur von ihren Mitgliedern aufmerksam beobachtet, sondern in der gesamten Gesellschaft. Sie können und müssen mit gutem Beispiel vorangehen, schmerzhafte Erinnerungen zu heilen, tiefsitzende Vorurteile zu überwinden und wegweisende Initiativen gemeinsam zu entwickeln. Melanchthon ist nicht der schlechteste Patron einer solchen Entwicklung. Er war ja auch ein Humanist, der nicht nur die kircheninternen, sondern ebenso die wissenschaftlichen Angelegenheiten gesehen und vorangetrieben hat.

KNA Die Augustana-Jubiläen wurden durch die Jahrhunderte alle 50 Jahre mit Reden, Traktaten, Flugschriften, Gedenkmünzen usw. benutzt, um ein protestantisches Überlegenheitsgefühl zu erzeugen. Was Sie vielleicht nicht wissen ist, dass 1930 – also in vorkonziliarer Zeit – aus England die Evangelical Alliance, die durch historische Umstände lange von einer antikatholischen Haltung bestimmt war, zur Jubelfeier nach Augsburg eingeladen und gekommen war. Sogar damals von den Landeskirchen noch wenig akzeptierte Freikirchen waren eingeladen. Einige kamen, andere lehnten eine Teilnahme ab. Bietet sich heute der DÖSTA nicht an, in einem unparteiischen ökumenischen Geist aktiv zu werden?

Söding In der Tat lerne ich nie aus. Deshalb bin ich so gerne im DÖSTA. Mir steht es nicht zu, die evangelische Gedenkpolitik zu bewerten. Ich weiß allerdings, dass sich die katholische Seite nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, wenn es um die theologische Würdigung der reformatorischen Bewegung geht. Die ökumenische Mentalität war in Deutschland bereits 1980 positiv gestimmt, freilich noch im Schatten des Ost-West-Konflikts, der auch Deutschland gespalten hatte. Nun sind die Vorzeichen anders, auch mit dem Rückenwind der 2017er-Ökumene: Was kann der DÖSTA tun, um diese Vertiefung der Ökumene zu unterstützen? In erster Linie das Gespräch mit der ACK, dem Vorstand und der Mitgliederversammlung suchen, um die Herausforderung 2030 klar zu erkennen und dann zu schauen, in welcher Weise die multilaterale Ökumene theologische Expertisen erstellen kann, die eine qualifizierte Teilnahme möglichst vieler am Gedenkprozess zu stimulieren vermag. „Anti"-Stimmungen lähmen; wir brauchen eine proaktive Ökumene.

KNA Der methodistische Bischof emeritus Walter Klaiber als ehemaliger ACK-Vorsitzender hält es für denkbar, Übereinstimmungen der Konfessionen in den Grundwahrheiten des christlichen Glaubens in knapper Form zu formulieren. Ein Gedanke ist, unter Einbeziehung des DÖSTA einen „Ökumenischen Katechismus" zu formulieren (vgl. KNA-ÖKI v. 3.7.18). Können Sie sich ein solches ökumenisches Projekt vorstellen? 

Söding Klar – nur werden wir uns gehörig anstrengen müssen, einen auch nur halbwegs so guten Katechismus wie den von Martin Luther oder von Petrus Canisius hinzubekommen. Entscheidend ist freilich das Votum der ACK und der sie tragenden Kirchen. Ich bin überzeugt, dass Papst Johannes XXIII. recht hat: „Uns eint mehr, als uns trennt". Ich bin nicht zufrieden, dass es bislang nur mehr oder weniger private Initiativen, aber keine kirchenoffiziellen Vorstöße gegeben hat, den Nachweis zu führen. Ein Katechismus ist ein prägnantes Medium. Warum aber nicht auch ein handlicher Bibelkommentar für die Praxis? Der DÖSTA beansprucht ganz sicher kein theologisches Deutungsmonopol. Er drängt sich auch nicht auf; aber wenn er gebraucht wird, ist er da.

KNA Nachdem die Veröffentlichung „Uns eint mehr, als uns trennt" (2017) eine ausschließlich katholisch-landeskirchliche Sicht bot, wäre es ökumenisch angezeigt, in einem anderen Projekt Gedanken, Zwischenergebnisse und bereits eingetretene Folgen aus den zahlreichen weltweiten Dialogen, an denen die meisten ACK-Kirchen beteiligt sind, auch in Deutschland mit einzubeziehen. Eine nationale bilaterale Ökumene ist eben nicht wirklich Ökumene, weil sie immer weltweit alle umfasst.

Söding Ich bin um jede Initiative froh, die der Ökumene Gewicht und Gehalt gibt. Deshalb freue ich mich auch über die erfolgreiche Initiative des evangelischen Konfessionskundlichen Instituts Bensheim und des katholischen Möhler-Instituts in Paderborn, schon einmal voranzugehen und aufzuschreiben, was, wie Sie sagen, evangelisch-landeskirchlich und römisch-katholisch gemeinsam im Glaubens gelehrt werden kann. Das ist ja hoffentlich auch für andere Kirchen nicht ein Affront, sondern ein Impuls, selbst initiativ zu werden. Es braucht freilich auch eine verlässliche Organisation, ein solches Projekt, wie Sie es erfreulicherweise anstoßen, auch qualitätsvoll zu realisieren. Die Infrastruktur gibt es mit der ACK; der DÖSTA kann, falls gewünscht, mindestens so etwas wie ein Controlling übernehmen, aber auch mit anderen Gruppen zusammenarbeiten, die einen ökumenischen Auftrag der Kirchen haben. Allerdings: Es hilft wenig, nur ein neues Buch zu schreiben. Wir müssen die Medienwelt von heute nutzen und gleich auch digital denken. Das schafft ganz neue Möglichkeiten, Vielfalt und Einheit zu kommunizieren. Der ACK und dem DÖSTA ist diese Kommunikation auf den Leib geschneidert.

Text: (c) KNA ÖKI