„Systemfrage auf Postkartengröße“ gestellt. Erinnerung an Ökumenische Versammlung in der DDR vor 30 Jahren

Foto Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion mit Zeitzeugen (Foto: S. Philipps, ÖRBB)

(20.03.2019) 30 Jahre nach dem Umbruch in der DDR stehen wieder zahlreiche Gedenkveranstaltungen auf dem Programm. Gleich sieben Veranstalter, darunter federführend der Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin und die Bundesstiftung Aufarbeitung, erinnerten am Mittwochabend in der Katholischen Akademie in Berlin an die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung 1988/89 in Dresden und Magdeburg. Zum Abschluss dieses 15 Monate dauernden Diskussionsprozesses legten die Delegierten aus 19 Kirchen am 30. April 1989 zwölf Texte vor, die im Verlauf der kommenden Monate eine wichtige Rolle spielen sollten.

Für Markus Meckel, damals evangelischer Pfarrer und später Mitbegründer der SPD in der DDR, Volkskammer- und Bundestagsabgeordneter und heute Ratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, war die Ökumenische Versammlung „ein Ereignis, das in die Vorgeschichte der friedlichen Revolution gehört“ und zugleich eine „ganz besondere ökumenische Erfahrung“. Die Teilnehmer seien im Lauf der Monate zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen, und viele von ihnen hätten dies als tragendes Ereignis in ihrer Biografie in Erinnerung.

Die Historikerin und Theologin Katharina Kunter sieht in der Ökumenischen Versammlung der DDR das „Herzstück des konziliaren Prozesses“, der 1983 auf Antrag des Erfurter Propsts Heino Falcke auf der Vollversammlung des Weltkirchenrats in Vancouver begann und in große Treffen auf europäischer und Weltebene mündete. Für Kunter stellen darüber hinaus die 10.000 Zuschriften aus den Gemeinden eine einmalige historische Quelle zur Alltagsgeschichte der DDR dar: „In gewisser Weise stellten sie die Systemfrage auf Postkartengröße.“

Der aus Sicht der SED-Machthaber subversivste Beschlusstext war der zum Thema „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“. Richard Schröder, damals „Berater“ der Ökumenischen Versammlung, später nach einem kurzen Ausflug in die Politik Theologieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität, erinnerte an den Versuch, einerseits deutlich zu formulieren, andererseits aber auf bestimmte Reizwörter zu verzichten. Wichtige Themen, zu denen keine gemeinsame Position gefunden wurde, seien listig als Fragen in den Anhang des Beschlusses gepackt worden.

Was aber bleibt nach 30 Jahren und einer Wendezeit, in der Formulierungen aus den Texten teilweise wörtlich in die Programme der neu entstehenden Parteien übernommen wurden, nach dem Untergang der DDR-Diktatur und der Wiedervereinigung Deutschlands noch von den damaligen Texten? Für den ehemaligen Generalsekretär des Weltkirchenrats, Konrad Raiser, sind die Selbstverpflichtungen, die sich an die Kirchen gerichtet haben, auch angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen aktuell. „Wenn sich in den Kirchen etwas ändern würde, würde sich auch in der Gesellschaft etwas ändern.“ Leider sei dieser Prozess in den Kirchen durch die politische Entwicklung unterbrochen worden.

Für den katholischen Magdeburger Bischof Gerhard Feige nicht unbedingt ein Manko: „Die Texte der Ökumenischen Versammlung haben Wirkung gehabt, Kreise gezogen“ über die „sichtbaren Kirchengrenzen“ hinaus. Eine rein binnenkirchliche Sicht sei nicht angemessen.

Ellen Ueberschär, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, plädierte dafür, die Trias von „Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung“ entschlossen zu historisieren, weil sie sonst heute nicht mehr verständlich sei. „Friede ist heute auf eine andere Art fragil geworden als 1989“, Gleiches gelte für die anderen Teile der Trias. Und Ueberschär machte auf eine „Leerstelle“ aufmerksam - warum habe eigentlich der Begriff „Freiheit“ gefehlt?, fragte sie. „War er zu gefährlich, zu unberechenbar, zu riskant für die Kirchen?“

Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, zog einen Bogen von der Ökumenischen Versammlung zur aktuellen Schülerbewegung „Fridays for Future“ zum Klimawandel. Seine Frage, welche Unterstützung diese von der Kirche erwarte, blieb unbeantwortet. Unter den mehr als 300 Teilnehmern fand sich kein Vertreter der jungen Protestgeneration.

Text: Norbert Zonker (c) Katholische Nachrichtenagentur

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