Sechste Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung - Interview mit Dr. Johannes Oeldemann

Frankfurt/Main (05.11.2025). Vom 24.-28. Oktober 2025 fand in Wadi El Natrun (Ägypten) die Sechste Weltkonferenz der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung statt. Unter dem Motto: "Where Now for Visible Unity?" (Welchen Weg nun zur sichtbaren Einheit) versammelten sich rund 400 Theologinnen und Theologen der ganzen Welt, um im Jahr des Nizäa-Jubiläums über Einheit, Mission und den weiteren Weg der Ökumene zu diskutieren. Ein Teilnehmer war der deutsche römisch-katholische Theologe Dr. Johannes Oeldemann, Direktor des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn und Mitglied der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Seine Eindrücke hat er uns im Interview mitgeteilt:

Dr. Johannes Oeldemann während der Moderation des Panels zum Thema Einheit bei der Sechsten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung in Ägypten (Foto: Albin Hillert/ÖRK).

ACK: Die Sechste Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung hatte die Aufgabe, die sichtbare Einheit der Kirche voranzutreiben, besonders im Hinblick auf den 1700. Jahrestag des Konzils von Nizäa. Wie hat die einzigartige Umgebung von Wadi El Natrun – ein Ort des frühen Mönchtums und tiefer Spiritualität – die theologische Diskussion über die Einheit für Dich persönlich beeinflusst und welche Bedeutung siehst Du in diesem Kontext für das Jubiläum von Nizäa 325? 

Johannes Oeldemann: Die besondere Atmosphäre des Tagungsortes hat aus meiner Sicht einen großen Anteil daran gehabt, dass diese Weltkonferenz – mehr als 30 Jahre nach der bislang letzten Konferenz dieser Art – einen neuen Impuls für die Suche nach sichtbarer Einheit setzen konnte. Der geistliche Rahmen der Tage – ökumenische Morgengebete und gemeinsame Abendgebete, die von verschiedenen Konfessionen gestaltet waren – gab allen Diskussionen über die drei Hauptthemen der Konferenz (Glaube, Mission, Einheit) eine besondere Dichte. In die Morgengebete flossen beispielsweise immer Zitate der ägyptischen Wüstenväter (und Wüstenmütter!) ein. Der „Glaube von Nizäa“ bildete die Grundlage für alle Beratungen und wurde selbst von den „non-creedal churches“ – Freikirchen und Pfingstlern, bei denen die Glaubensbekenntnisse der Alten Kirche keine große Rolle spielen – als gemeinsame Basis akzeptiert.

ACK: Die Konferenz wurde von der Koptisch-Orthodoxen Kirche ausgerichtet. Welche spezifischen Einblicke oder Erfahrungen mit der koptischen Spiritualität, Liturgie oder dem klösterlichen Leben haben Dich während Deines Aufenthalts besonders beeindruckt oder Deinen Blick auf die Ökumene erweitert? 

Johannes Oeldemann: Schon vor Beginn der Tagung konnte ich das geistliche Zentrum der koptisch-orthodoxen Kirche in Kairo besuchen, wo in einer Kapelle die Reliquien des hl. Markus verehrt werden, der als Begründer des Christentums in Ägypten gilt. Mit Bildern und Texten wird dort an die Rückgabe der Reliquien im Jahr 1968 erinnert – eine wichtige ökumenische Geste in den Beziehungen zwischen der koptisch-orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche. Während der Tagung habe ich am Sonntag an einer koptisch-orthodoxen Liturgie teilgenommen, bei der die tiefe Spiritualität dieser Kirche spürbar war. Anschließend haben wir zwei benachbarte Wüstenklöster besucht und persönlich erlebt, wie lebendig die monastische Tradition in Ägypten ist. Die überwältigende Gastfreundschaft der koptisch-orthodoxen Kirche prägte die ganze Atmosphäre der Tagung und inspirierte uns zu einer großen Offenheit und ökumenischen Weite in den Gesprächen.

ACK: Was war Dein persönliches Highlight in den Tagen in Ägypten? Gab es auch Herausforderungen?

Johannes Oeldemann: Mein persönliches Highlight war der Besuch in „Anafora“ am Sonntagnachmittag. Anafora ist ein geistliches Zentrum der koptisch-orthodoxen Kirche, das in den letzten 25 Jahren von Metropolit Thomas aufgebaut wurde. Es zeichnet sich dadurch aus, dass dort nicht nur Mönche und Nonnen leben, sondern auch andere Frauen und Männer (nicht nur aus Ägypten, sondern auch aus Europa), die eine geistliche Gemeinschaft bilden. Katechetische Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, ein umweltbewusster Lebensstil und gemeinsame Gebetszeiten prägen die besondere Atmosphäre dieses Ortes. Als weiteres Highlight möchte ich die Predigt von Metropolit Thomas im Eröffnungsgottesdienst erwähnen, in der er sehr anschaulich (anhand einer Karaffe mit Wasser und einem Glas) über das „lebendige Wasser“ predigte.
Natürlich gab es auch Herausforderungen. Die größte Herausforderung war sicherlich, innerhalb von nur vier Sitzungstagen eine Antwort auf die sehr grundsätzliche Frage des Tagungsthemas zu finden: „Where now for visible unity?“ In den Plenarveranstaltungen wie auch in den kleineren Gesprächsgruppen in den drei „Sektionen“ wurden sehr viele Aspekte angesprochen. Als Mitglied des Redaktionskomitees sah ich mich dann vor allem mit der Herausforderung konfrontiert, die vielen wichtigen Anregungen und Ergänzungswünsche in den Entwurf der Abschlusserklärung zu integrieren, ohne den roten Faden zu verlieren. Am Ende haben wir uns im Konsensverfahren auf eine kurze „Botschaft“ der Konferenz und einen längeren theologischen Text („Ecumenical Affirmation“) verständigt, der die Ergebnisse unserer Beratungen bündelt. Das wichtigste Ergebnis der Konferenz ist meines Erachtens, dass „sichtbare Einheit“ als ein dynamischer Prozess verstanden wird, der schon hier und heute beginnt.

ACK: Verrätst Du uns Deinen liebsten Gedanken / Dein Lieblingszitat aus dem Abschlussbericht?

Johannes Oeldemann: Mein Lieblingszitat aus dem Abschlussbericht ist der Satz „We are called to live out our hope for this unity now, making it tangible and visible”, der sich in ähnlicher Form auch im Text der Botschaft wiederfindet: „Unity begins to be visible when we live together in ways that embody faith, hope and love.” Ich finde diese Sätze deshalb so bemerkenswert, weil sie verdeutlichen, dass „sichtbare Einheit“ nicht ein Ziel ist, das wir irgendwann am Ende des ökumenischen Weges erreichen werden, sondern dass diese Einheit ein Prozess ist, der schon jetzt beginnt. Das Streben nach Einheit erhält so eine neue Dynamik: Wir können, müssen und sollen damit schon jetzt beginnen. Das Verb „live out“ begegnet mehrfach im Text der Abschlusserklärung. Es verdeutlicht: Wir müssen die schon gegebene Einheit leben, ausleben, mit Leben erfüllen, damit sie immer weiter vertieft und auf diese Weise „sichtbar“ wird.

ACK: Welche konkrete Hoffnung oder welchen Impuls für den weiteren „Pilgerweg zur sichtbaren Einheit“ nimmst Du von dieser Konferenz mit in Deine Heimat und in Deinen Alltag?

Johannes Oeldemann: Die Weltkonferenz war ein Höhepunkt in meiner ökumenischen Biografie, weil sie die Chance bot, Menschen aus ganz verschiedenen Kirchen und Kulturen zu begegnen und mit ihnen gemeinsam nachzudenken, welches die nächsten Schritte auf dem Weg der Ökumene sein sollten. In der Plenarveranstaltung zum Thema „sichtbare Einheit“, die ich moderieren durfte, habe ich die Podiumsteilnehmer abschließend gefragt, was aus ihrer Sicht der erste Schritt auf dem Weg zu sichtbarer Einheit sein sollte. Ich war überrascht, wie einhellig da von allen Beteiligten die Bedeutung von persönlicher Begegnung und Freundschaft betont wurde. In der Tat waren das auch entscheidende Faktoren zu Beginn der ökumenischen Bewegung. Von der Tagung nehme ich daher vor allem den Impuls mit, wie wichtig es ist, persönliche Beziehungen zu anderen Kirchen zu pflegen. Gerade in einer Zeit zunehmender Polarisierung und innergesellschaftlicher wie auch zwischenstaatlicher Konflikte scheint mir die Verbundenheit unter den Christen über alle Grenzen hinweg ein enorm wichtiges Zeugnis für die Einheit – nicht nur der Kirche, sondern der ganzen Menschheit – zu sein.

ACK: Wie hast Du als katholisches Kommissionsmitglied die Vorbereitungen und Durchführungen der Konferenz erlebt und wie geht es nun weiter in der Arbeit der Kommission?

Johannes Oeldemann: Die Vorbereitungen auf die Konferenz waren sehr intensiv. Als wir uns als Kommission im Februar 2024 zum ersten Mal persönlich getroffen haben, standen der Termin und das Thema der Weltkonferenz fest, aber noch keine Inhalte. In den letzten Monaten gab es viele Online-Treffen in unterschiedlichen Konstellationen, um die Details zu planen. Die Kommission hat sich bereits einen Tag vor Beginn der Konferenz am Tagungsort, dem „Papal Logos Center“, getroffen, um letzte Absprachen zu treffen. Bei der Durchführung waren dann alle Kommissionsmitglieder in unterschiedlichen Funktionen (Vortrag, Moderation, Protokollführung in den Gesprächsgruppen) involviert. Die drei Studiengruppen der Kommission werden sich Anfang nächsten Jahres online treffen, um die Konferenz im Blick auf ihren Arbeitsbereich auszuwerten. Ende Oktober 2026 ist dann eine Präsenztagung der gesamten Kommission geplant, bei der es darum gehen wird, konkrete Studienprojekte zu vereinbaren, die bis zum Ende der laufenden Amtsperiode (2030) abgeschlossen werden müssen.

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