Aus der Sicht der „Kleinen“: Karl Heinz Voigt blickt auf „Ökumene in Deutschland“ zurück

Karl-Heinz Voigt hat in seiner Geschichte der Ökumene in Deutschland besonders die ACK im Blick.

(16.08.2015) Darstellungen zur Geschichte der Ökumene haben – dem Thema angemessen – in der Regel die Entwicklungen in der weltweiten Christenheit zum Gegenstand. Zugleich gilt aber, dass das Zusammenleben der Christen verschiedener Konfessionen an einem Ort gleichsam die Bewährungsprobe der Ökumene darstellt. Deshalb hat der Blick auf die besonderen Entwicklungen hierzulande, wie ihn Karl Heinz Voigt in seinem zweibändigen Werk „Ökumene in Deutschland“ vorgelegt hat, seinen Sinn und seine Berechtigung. Dies umso mehr, als – wie der Autor in seiner Einführung festhält – in den Übersichtswerken zur Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts „die Ökumene kaum wahrgenommen [ist] und wenn, dann fast nur im internationalen Kontext“ (S.21). Während der erste Band den Zeitraum von etwa einem Jahrhundert (1848-1945) umfasst (vgl. KNA ÖKI v. 19.5.15), behandelt der zweite, doppelt so umfangreiche Band laut Untertitel die Zeit „von der Gründung der ACK bis zur Charta Oecumenica (1948-2001)“, de facto aber die Entwicklung bis in die unmittelbare Gegenwart.

Karl Heinz Voigt ist ausgewiesener Ökumene-Experte

Als Pastor und langjähriger Ökumene-Beauftragter der Evangelisch-methodistischen Kirche in vielen Gremien ist der mittlerweile 80-jährige Autor dabei kein neutraler Beobachter, sondern immer auch mit innerem Engagement beteiligt. Seine auch wissenschaftliche Beschäftigung mit zahlreichen Einzelfragen belegen 21 Aufsätze aus den vergangenen 25 Jahren, die in die Darstellung eingeflossen sind. Der durchgängige Blick aus der Position der Minderheitskirchen ist prägend und dem Thema insofern angemessen, als dabei viele Details gesehen werden, die aus der Perspektive der Großkirchen (zu Unrecht) als vernachlässigenswert gelten könnten.

Voigt unterscheidet vier Phasen der Entwicklung. Die erste unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kulminierte in der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) 1948. Wesentliche Impulse dafür kamen aus dem Ausland – vor allem aus Großbritannien und den USA, wo die Kirchen nach Partnern für ihre Hilfswerke suchten, sowie aus Genf, wo sich der Ökumenische Rat der Kirchen formierte, der die Gründung der „Ökumenischen Centrale“ in Frankfurt als deutscher Anlaufadresse forcierte. Die Gründungsmitglieder der ACK waren bis auf die altkatholische Kirche alle evangelisch – neben der EKD fünf Freikirchen bzw. -bünde. Die übermächtige Rolle der EKD zeigte sich nicht nur in darin, dass die ACK-Gründungsversammlung am Rande einer EKD-Ratstagung stattfand, sondern auch an der personellen, rechtlichen, finanziellen und räumlichen Anbindung der Ökumenischen Centrale an das damals in Frankfurt ansässige Kirchliche Außenamt. Diese Konstruktion diente zugleich dem Interesse der EKD, die Rolle der ACK zu beschränken und sie keinesfalls zu einem „National Council of Churches“ werden zu lassen.

ACK erlebte nach Gründung eine Durststrecke

Nach einem „energischen Start“ unter Martin Niemöller als erstem Vorsitzenden blieb die ACK laut Voigt deshalb in den folgenden Jahren „ein bescheidenes und im Grunde lange Zeit wirkungsloses Pflänzchen“ (S. 652). Es ging um das gegenseitige Kennenlernen, die Aufarbeitung von Verletzungen in der Vergangenheit sowie um die Behandlung von strittigen Themen nach Art eines „Theologischen Seminars“. Die „Stagnation“ in den 60er Jahren führte zu einer Art Sinnkrise der ACK, deren Rolle zunehmend unklar wurde. Das Zweite Vatikanische Konzil und der damit verbundene Eintritt der katholischen Kirche in die Ökumene sowie die Etablierung der orthodoxen Kirchen in Deutschland gaben jedoch neue Impulse. Die gemeinsame Aufnahme der römisch-katholischen Kirche und der griechisch-orthodoxen Metropolie in die ACK 1974 brachten auch eine Ablösung vom EKD-Außenamt mit sich.Dies erfolgte, wie Voigt detailliert aufzeigt, gegen das beharrliche Bremsen aus der EKD, die den bilateralen Beziehungen zur Deutschen Bischofskonferenz Vorrang geben wollte. Diese habe demgegenüber eine Mitarbeit in der ACK angestrebt und sich auch personell und finanziell dort eingebracht.

Auf die „Neuordnung“ in den 70er Jahren folgte in der Gliederung Voigts eine „Zeit der beginnenden Rezeption und Aktionen“ – unter diese beiden Begriffe subsumiert er Entwicklungen wie die Bildung regionaler ACKs, das „Wachsen konfessionsübergreifender Gemeinschaft“ auf allen Ebenen, verbindliche bilaterale Vereinbarungen zwischen einzelnen Kirchen, aber auch herausragende Ereignisse wie die großen Ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und die beiden Ökumenischen Kirchentage 2003 und 2010. Eigene Abschnitte sind der besonderen Entwicklung in der DDR bis 1990 gewidmet. Als einen Höhepunkt sieht Voigt die 2001 in Straßburg von den Präsidenten der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und des Rates der römisch-katholischen Bischofskonferenzen in Europa (CCEE) unterzeichnete Charta Oecumenica, die beim Berliner Ökumenischen Kirchentag zwei Jahre später noch einmal ausdrücklich von den Kirchen in Deutschland unterzeichnet wurde.

Multilaterale Ökumene zeigt Reichtum der einen Kirche Jesu Christi 

Auch wenn die ACK als Gremium der multilateralen Ökumene immer wieder den Bezugspunkt für Voigts Darstellung bildet, legt er weit mehr vor als eine Geschichte der ACK. Minutiös geht er auch den vielen zwischenkirchlichen Kontakten außerhalb des Rahmens der ACK nach, etwa in der Evangelischen Allianz, dem Weltgebetstag der Frauen, der Zusammenarbeit von Landeskirchen und Freikirchen in der Jugendarbeit sowie in Hilfs- und Missionswerken, den zahlreichen bilateralen Dialogen und ihren Folgen für die multilaterale Ökumene. Hier sieht er auch Ansatzpunkte, gewisse Engführungen im Dialog zwischen den großen Kirchen zu überwinden.

Das zentrale Anliegen des Autors ist es, „den Reichtum, die Vielfalt und die Komplexität der Ökumene in Deutschland in der ganzen Breite par cum pari zu erfassen und dadurch ihr Bild pluralisierend zu bereichern“ (S.614). Die herkömmliche „zweipolige Sicht der hiesigen Christenheit“ ist für ihn nicht zuletzt deshalb falsch, weil Minderheitskirchen in Deutschland wie Methodisten, Baptisten oder Pfingstler weltweit beachtliche Größen darstellen. Letztlich gehe es dabei jedoch darum, die Komplexität und den Reichtum der „einen, alle umfassenden Kirche Jesu Christi“ wieder zu entdecken (S.553). Die Form der Darstellung, die einzelne Entwicklungen nachzeichnet und dabei immer wieder Querverbindungen aufzeigt, bringt es mit sich, dass es zu nachvollziehbaren Wiederholungen kommt. Allerdings hätte man dem Buch ein strengeres Lektorat gewünscht, das manche überflüssigen Doppelungen gestrichen hätte. (So wird, zum Beispiel, ein längeres Zitat des amtierenden ACK-Vorsitzenden, Bischof Karl-Heinz Wiesemann, gleich zweimal in voller Länge gebracht [S. 563 und 649], wo einmal eine Fußnote gereicht hätte.) Dies schmälert jedoch nicht den Reichtum und den Wert der Studie, die zudem gut lesbar geschrieben ist. Als Praktiker macht Voigt zudem zahlreiche Vorschläge für die ökumenische Weiterarbeit. Dabei bleibt er Realist, wenn er feststellt: „Manchmal erscheint es in unserer öffentlichen ökumenischen Begegnung leichter, an den Partner quasi nach außen Wünsche, manchmal auch Forderungen zu stellen, ohne selber auch die Konsequenzen nach innen zu bedenken“ (S.447).

In seinem Vorwort würdigt Bischof Wiesemann den Autor als „engagierten Ökumeniker, der sich leidenschaftlich für das Ziel der sichtbaren Einheit einsetzt“. Gerade im Blick auf das Reformationsgedenken 2017 könnten die beiden Bände Voigts „uns heute ermutigen und dazu beitragen, an den vielen Erfolgen der letzten Jahrzehnte anzuknüpfen und die ACK als Instrument der multilateralen ökumenischen Gemeinschaft immer mehr zu stärken und wertzuschätzen“, so der ACK-Vorsitzende.

Karl Heinz Voigt, Ökumene in Deutschland. Von der Gründung der ACK bis zur Charta Oecumenica (1948–2001), 705 Seiten, V&R unipress Göttingen 2015, 64,99 Euro.

Text: Norbert Zonker, © KNA ÖKI