Das gemeinsame Handeln ist normal und das konfessionelle Eigenleben muss begründet werden!

Predigt von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber

im Ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung der Gebetswoche für die Einheit der Christen am 24. Mai 2009 im Dom zu Paderborn

 

Text: Ez 37,15-19 und 22-24a

Das Wort des Herrn erging an mich:

16 Du, Menschensohn, nimm dir ein Holz, und schreib darauf: Juda und die mit ihm verbündeten Israeliten. Dann nimm dir ein anderes Holz, und schreib darauf: Josef [Holz Efraims] und das ganze mit ihm verbündete Haus Israel.

17 Dann füge beide zu einem einzigen Holz zusammen, so daß sie eins werden in deiner Hand.

18 Und wenn die Söhne deines Volkes dich fragen: Willst du uns nicht erklären, was das bedeuten soll?

19 dann antworte ihnen: So spricht Gott, der Herr: Ich nehme das Holz Josefs [das in der Hand Efraims ist] und der mit ihm verbündeten Stämme Israels und lege es auf das Holz Judas. Ich mache sie zu einem einzigen Holz, und sie werden eins in meiner Hand.

22 Ich mache sie in meinem Land, auf den Bergen Israels, zu einem einzigen Volk. Sie sollen alle einen einzigen König haben. Sie werden nicht länger zwei Völker sein und sich nie mehr in zwei Reiche teilen.

23 Sie werden sich nicht mehr unrein machen durch ihre Götzen und Greuel und durch all ihre Untaten. Ich befreie sie von aller Sünde, die sie in ihrer Untreue begangen haben, und ich mache sie rein. Dann werden sie mein Volk sein, und ich werde ihr Gott sein.

24 Mein Knecht David wird ihr König sein, und sie werden alle einen einzigen Hirten haben.

 

Liebe Gemeinde,

Liebe Schwestern und Brüder!

„Am 9.Juli 1988 begab sich ein Bürger der Deutschen Demokratischen Republik zum Ostberliner Grenzübergang Bornholmer Straße. Es war dem trüben Samstagnachmittag nicht anzusehen, dass genau sechzehn Monate später sich an eben dieser Stelle die Weltgeschichte ändern wollte. Der Bürger hatte nichts Entsprechendes im Sinn. Je näher er den Grenzanlagen kam, desto zager wurde ihm ums Herz…“ Folgendes war vorgefallen: Der Bürger hatte eine Nachbarin und diese einen Geliebten in Westberlin, einen Türken. Dem Türken hatte der DDR-Bürger 60 DM mit der dringlichen Bitte gegeben, ihm dafür beim nächsten Besuch heiß begehrte und für ihn im Osten unerreichbare Jazzplatten mitzubringen. Der Türke war willig, aber von den Grenzsoldaten mürbe gefilzt, gestand er schließlich den Devisenschmuggel in den Westen und unerlaubten Plattenimport ostwärts. Die Platten wurden beschlagnahmt, der Bürger heulte vor Kummer und Zorn, schrieb erfolglose Eingaben und notierte: „Die großen DDR-Erniedrigungen füllten das Fass, die kleinen brachten es zum Überlaufen. Deswegen änderten wir im Herbst 1989 die devisenrechtlichen Bestimmungen unseres Staates. Es gibt Leute, die nannten das eine Revolution.“  So nachzulesen bei dem ostdeutschen Autor und Zeit-Redakteur Christoph Dieckmann.[1]

Keine tragische Geschichte, aber eben auch keine alltägliche. Eine Geschichte von irrsinnigen Grenzen, Mauern und Barrieren, von zwei Teilen, die unwiderruflich getrennt scheinen. Eine Geschichte von Zivilcourage und Hilfsbereitschaft, von Wut und Tränen. Und auch eine, die erzählt von dem Wunder des Danach: auf einmal kann man wieder über diese Brücke gehen als wäre es nie anders gewesen, die Wunden der Stadt vernarben und verheilen und schon ist eine Generation herangewachsen, die all das nur vom Hören-Sagen kennt.

Wie mögen, so könnten wir uns heute – im 20.Jahr der Maueröffnung - fragen, solche Berichte in den Ohren derer klingen, die noch immer im zweigeteilten Korea leben, die noch immer von Prophetenworten zehren müssen, um die Hoffnung nicht aufzugeben, dass eines Tages auch die Grenze fällt, die ihr Land spaltet und damit nicht nur Gesellschaftsentwürfe voneinander trennt, sondern auch Familien zerreißt, Menschen entfremdet?

Die Koreaner haben in den Worten des Propheten Hesekiel ein Wort der Heilung gefunden und uns Christen für diese Gebetswoche  ans Herz gelegt, in dem es heißt: „… damit sie eins werden in deiner Hand.“

Eine Verheißung, die von Heilung und Ganzheit spricht, kommt uns hier entgegen. Man kann sich wundern, dass dies nicht ein Lieblingstrauspruch geworden ist. Jedenfalls aber können vermutlich wir Deutsche, die wir etwas davon erlebt haben, die Kostbarkeit dieses Zuspruches besonders gut spüren.Und sollte dann nicht gerade uns, die wir in unserer Geschichte tatsächlich erfahren haben, dass Gott unsere Wege aufeinander zu in seine Hände nimmt, dieser Text auch im Blick auf die Einheit der Christen Hoffnung machen? Wissen wir nicht längst, dass Gott heilen kann, was wir nur zusammenflicken?

Lassen sie uns also genauer hinsehen: Sie haben den Text, die Beschreibung einer prophetischen Zeichenhandlung vorhin gehört. Hesekiel, der Prophet, wird von Gott aufgefordert, zwei Hölzer zu nehmen und sie zu beschriften, für Juda und Israel das eine, für Ephraim und das Haus Josef das andere und beide soll er so in die Hände nehmen, dass daraus eines wird.

In Vorbereitung der zeichenhaften Vereinigung zweier Hölzer zu einem wird deutlich: Der Hoffnung auf Einigung geht ein Wahrnehmungsprozess - vielleicht sogar ein Schuldbekenntnis - voraus, denn in Gottes Hand wird nicht nur das Ganze sichtbar, sondern eben auch all das, was uns trennt, befremdet und auseinander treibt – und deshalb vereinzelt ist.

Und betrachtet man den Kontext der alttestamentlichen Geschichte, so muss man an dieser Stelle auch hinzufügen: Jeder Prozess dieser Art hat eine Vorgeschichte, die nicht nur Hesekiel einbringt, sondern selbstverständlich auch wir.

Es gilt also, sich klarzumachen und genau hinzusehen, wer da zusammenkommt, sich vielleicht sogar zusammengehörig fühlt und wo er herkommt.

Entsprechend nennt Hesekiel die verschiedenen, getrennten Reiche exakt beim Namen: „Für Juda und Israel, die sich zu ihm halten.“ Und nimm noch ein Holz und schreibe darauf: „Holz Ephraims, für Josef und das ganze Haus Israel, das sich zu ihm hält.“

Diesen Aspekt sollten wir bei aller Verheißung des Textes auch und gerade dann nicht übersehen, wenn wir von der Einheit  Christen sprechen. Es geht mir dabei nicht um die Schärfung der Profile, sondern vielmehr darum, aussagefähig zu werden über uns selbst, klar reden zu können über das, was uns wichtig ist und prägt, wozu wir uns bekennen. Und zwar nicht, um uns abzugrenzen und auf Eigenem beharren zu können, sondern um erkennbar zu werden als verlässlicher Partner auf dem gemeinsamen Weg.

Vielleicht setzen wir ja das Wissen um unsere verschiedenen Kirchen manchmal als sehr selbstverständlich voraus und meinen, im Bekenntnis zu dem einen Herrn, der Grundlage in der einen Schrift und Anerkenntnis der einen Taufe wären wir schon deutlich genug beschrieben, klar identifiziert. Allein, meine vielen Gespräche und nicht zuletzt die wunderbaren Gottesdienste, die wir miteinander feiern, gerade in diesen Tagen auch während des Kirchentages in Bremen,  haben doch gezeigt: je mehr wir voneinander wissen und uns teilhaben lassen an Glaube und Lehre, umso besser verstehen wir einander, umso näher können wir einander sein und umso berechtigter dürfen wir darauf hoffen, eines Tages in Gottes Hand eins zu werden.

Denn es heißt weiter bei Hesekiel: Lege diese beiden, so klar benannten Hölzer in deiner Hand so zusammen, dass sie eins werden und dann sag den Menschen, die dich danach fragen werden: „Siehe, ich will … ein Holz daraus machen, und sie sollen eins sein in meiner Hand.“

Mit anderen Worten: Wir werden davon ausgehen müssen, dass unser Mühen um Einheit nicht gleich erkannt wird, dass die Menschen uns danach fragen, was wir tun. Der Weg zur Einheit der Christen macht es immer wieder neu notwendig, die Menschen um uns herum mit ins Boot zu nehmen und  ihnen von der Hoffnung zu erzählen, die uns leben hilft.

Schließlich aber lässt die Zeichenhandlung des Hesekiel keinen Zweifel daran, dass Prozesse des Zusammenwachsens und Einswerdens nur dann als heilsam erfahren werden, wenn sie tatsächlich in Gottes Hand gelegt sind.

 

Zurück zum Anfang: Geschichte kann lang sein. An der innerdeutschen Grenze „half es nur wenig, sich im Verstande klarzumachen, dass diese Grenze eine unnatürliche Trennung ist und ganz sicher keinen Bestand haben wird.“[2] Denn wenn man erst mal hinter Mauern lebt, dann ist es vielleicht gleichgültig, ob es die Mauern zwischen verschiedenen Staaten oder schmerzhaft getrennten Konfessionen sind: Es ist immer mein kleines Leben, das davon geprägt wird, nicht in Freiheit leben zu können oder nicht gemeinsam, mit denen, die man liebt, zum Abendmahl gehen zu dürfen.

Der junge Mann an der Bornholmer Straße, Pfarrerssohn und Theologiestudent, später Musikkritiker und Journalist hat sich aufgemacht und, wie er selber schreibt: „ermannt sich zum Gang in die Höhle der Organe“, zur Auseinandersetzung mit dem System. Mit feiger Trauer, einsamer Klage wäre er nicht weitergekommen.

Auch das gehört offenbar dazu: Ehe Gott aus dem Getrennten Eines werden lässt, braucht es unser Mühen, zusammenzufügen, was nur immer in unseren Kräften steht.

Und dazu erinnere ich an die 4. These der Charta Oecumenica:

„Wir verpflichten uns, auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gemeinsam zu handeln, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind und nicht Gründe des Glaubens oder größerer Zweckmäßigkeit dem entgegenstehen.“

Und das heißt nichts anderes als:

Das gemeinsame Handeln ist normal und das konfessionelle Eigenleben muss begründet werden!

Aber es gilt eben auch: Machen können wir die Einheit am Ende nicht. Sie bleibt Gottes Geschenk und seine Antwort auf unser Bitten.

So lasst uns diese Gebetswoche nutzen, einander zu erkennen,  uns der Nähe Gottes zu vergewissern und ihn darum zu bitten, dass wir eins werden in seiner Hand.

 

Amen

 

 (1) Diekmann, C., Das wahre Leben im Falschen, Geschichten von ostdeutscher Identität, Berlin 1998, S. 37f.

(2) Noack, A., Mit Gott den Neuanfang wagen, Materialien für die Gebetswoche der Christen 2009, S.20.

 

 

 

 


[1] Dieckmann, C., Das wahre Leben im Falschen, Geschichten von ostdeutscher Identität, Berlin 1998, S.37f.

 

[2] Noack, A., Mit Gott den Neuanfang wagen, Materialien für die Gebetswoche der Christen 2009, S.20.