Drei Fragen an Bischof Martin Schindehütte

(Foto: EKD)

Bischof Schindehütte, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eröffnete am 31. Oktober in Worms das Themenjahr „Reformation und Toleranz“. Beim Festakt wurde betont, dass das Thema „Toleranz“ für die Kirchen der Reformation eine „Lerngeschichte“ sei. Können Sie uns Beispiele nennen, wo nach schmerzlichen Erfahrungen in der Vergangenheit heute neue Formen der Begegnung und des Dialogs praktiziert werden?

Schindehütte: Im April diesen Jahres habe ich mit muslimischen Vertretern aus verschiedenen Ländern aus dem mittleren Osten eine Reise zur Stätten der Reformation gemacht unter dem Titel „Exploring the tradition of Reformation.“ Wir begannen unsere Reise in Nürnberg und besuchten eine reformierte und eine lutherische Kirche. Anschaulich wurden schon in den Kirchen die unterschiedlichen theologischen Strömungen der Reformation. Wir mussten aber auch berichten, dass die Reformierten aus der Stadt verbannt wurden und ihre Gottesdienste außerhalb halten mussten. Erst mit der Leuenberger Konkordie 1973 wurde der kirchentrennende Charakter der theologischen Lehrunterschiede überwunden. Die innerchristliche Toleranz ist in einer schmerzvollen Gewaltgeschichte mit dem Tiefpunkt des 30-jährigen Krieges gelernt worden. Erst seit 100 Jahren gibt es mit der Ökumenischen Bewegung Schritte zu einem gemeinsamen Zeugnis der Christen, in dem die Differenzen zunehmend nicht als Belastung und Bereicherung empfunden werden.

Nürnberg war die „ideologische Hauptstadt“ des Nationalsozialismus, der ja auch das Christentum und die Kirche zu missbrauchen wusste und mit seiner rassistischen Ideologie Tod über unzählige Menschen gebracht hat. Heute versteht sich Nürnberg als eine Stadt des Friedens und der Menschenrechte, mit beeindruckender Aufarbeitung seiner Geschichte und einer „Straße der Menschenrechte“, die der israelische Künstler Dani Karavan 1993 schuf. Auf Säulen werden in verschiedenen Sprachen 30 Artikel der Menschenrechtserklärung im Stadtbild präsent. Wahrhaft eine Lerngeschichte der Toleranz.

Der Lutherische Weltbund stellte sich 2010 in einem Bußgottesdienst mit den Mennoniten der Verantwortung und Schuld durch die Verfolgung der sogenannten Wiedertäufer im 16. Jahrhundert. Könnte dieser Akt der Bitte um Vergebung Vorbild sein auch im Hinblick auf Versöhnung zwischen anderen Kirchen bzw. Gemeinschaften?

Schindehütte: In der Tat ist der Bußgottesdienst im Rahmen der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Stuttgart ein gutes Beispiel für Zeichen der Versöhnung zwischen Kirchen.

Vor wenigen Wochen wurde in Windhoek die englische Fassung eines umfangreichen Dokumentationsbandes zur Aufarbeitung der Geschichte der Auslandsarbeit und Missionsgeschichte im südlichen Afrika während der Kolonialzeit bis 1921 vorgestellt. Dieser vierjährige gemeinsame Arbeitsprozess zwischen EKD, Gliedkirchen und Missionswerken auf der einen Seite mit unseren kirchlichen Partnern im südlichen Afrika trägt ein solches versöhnendes Geschehen ebenfalls in sich. Es ist so viel Vertrauen gewachsen, dass wir nunmehr uns der Schuldgeschichte in der Zeit der Apartheid zugewandt haben.

Versöhnung braucht Erinnerung und ein gemeinsames Ansichtigwerden dessen, was schmerzlich und schuldhaft dazwischen stand.

An welcher Stelle sehen Sie die Kirchen in Deutschland / die ökumenischen Partner herausgefordert, noch stärker als bisher neben „interkonfessioneller“ Toleranz auch eine „interreligiöse“ Toleranz zu praktizieren? Was bedeutet dies für die internationalen Kontakte der EKD?

Schindehütte: Die sehr weit verzweigten internationalen ökumenischen Kontakte der EKD, ihrer Gliedkirchen und Werke sind ein kaum zu unterschätzendes Potential, zu Versöhnung und Frieden beizutragen, die ohne Toleranz, gegenseitigen Respekt und ohne gegenseitiges produktives Lernen nicht sein können.

Dabei spielen die interreligiösen Dialoge eine immer größere Rolle. Wir sind aktive Mitgestalter des „Religious Leaders Summit“, mit dem die G 20 Treffen der wichtigsten und reichsten Nationen kritisch begleitet werden. Wir haben einen „Europäisch-Arabischen Dialog“ initiiert, in dem mit Vertreterinnen und Vertretern aus europäischen und arabischen Ländern über die friedensstiftende Rolle der Religionen in der Zivilgesellschaft beraten wird. Wir unterstützen den „European Council of Religious Leaders“ und den „World Council of Religions for Peace“.

Vor allem aber arbeiten wir gerade in den Entwicklungsprojekten eng mit allen zivilgesellschaftlichen Kräften und darin natürlich mit den christlichen Kirchen vor Ort und eben auch mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Religionen zusammen. Am tiefsten und nachhaltigsten wächst Verständnis füreinander in der gemeinsamen Bewältigung von kleinen und großen gemeinsamen Herausforderungen und den Erfahrungen alltäglichen Zusammenlebens.

Martin Schindehütte ist Bischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Delegierter der EKD in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland. Er ist Vizepräsident des Kirchenamtes, Leiter der Hauptabteilung IV: Ökumene und Auslandsarbeit und Leiter des Amtes der UEK.