Drei Fragen an Pfarrer Johannes Welschen

Die Jahreslosung 2013 lautet: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir" (Hebr 13,14). Die Evangelische Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine ist Mitglied in der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB), die die jeweilige Jahreslosung auswählt. Welche Erfahrung können Sie aus Ihrer Tradition in die ÖAB einbringen?

Welschen: Die Herrnhuter Brüdergemeine hat von Beginn an gute Erfahrungen gemacht mit biblischen Leitworten. Die Losungen der Brüdergemeine bieten seit über 280 Jahren Leitworte für jeden Tag. Unzählige Menschen – inzwischen auch in anderen Kirchen, anderen Sprachen und auf anderen Kontinenten – haben sich in ihrem Leben durch diese Worte begleiten und herausfordern lassen. Dabei haben wir erfahren, dass die Worte der Losungen (und das gilt, so glaube ich, auch für die Jahreslosungen) uns in Verbindung bringen: zu allererst laden sie uns ein zu einer lebendigen Verbindung mit der Bibel als dem Wort Gottes. Diese Verbindung wiederum ist die Voraussetzung für die tägliche Connexion (Verbindung) mit dem Heiland – wie Zinzendorf christliche Spiritualität beschrieb. Zugleich aber bringen uns die Losungen auch in Verbindung zu anderen Menschen, die ihren Tag (oder im Falle der Jahreslosung ihr Jahr) unter diesem Wort leben. Die Einladung zu dieser doppelten Verbindung ist nach unserer Erfahrung eine große Chance biblischer Leitworte.

Der Vorsitzende der ACK, Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber, war im vergangenen Jahr bei der Ziehung der Losungen für das Jahr 2015 beteiligt. Können Sie das Verfahren beschreiben und welche Rückmeldungen Sie aus aller Welt zu den Losungen bekommen?

Welschen: Jeweils an einem Tag Ende April / Anfang Mai kommt die Kirchenleitung in Herrnhut zusammen um (eventuell gemeinsam mit Gästen) die Losungen des Jahrganges zu ziehen, der zu diesem Zeitpunkt noch 3 Jahre vorausliegt. Gezogen werden nur die alttestamentlichen Worte, die eigentlichen Losungen, aus einem Spruchgut von ca. 1800 Versen. Dieses Spruchgut geht in seinem Kern auf die Brüdergemeine des 18. Jahrhunderts zurück, wird aber nach theologischen und sprachlichen Kriterien immer wieder bearbeitet. Ab dem Jahrgang 2014 wird ein revidiertes Spruchgut verwendet. Den einzelnen Sprüchen sind Nummern zugeordnet von 1 für 1. Mose 1,1 bis 1824 für Maleachi 3,20. Nach dem Beginn des Tages mit einer Morgenandacht ziehen jeweils zwei Schwestern und Brüder gemeinsam vier Monate. Dabei wird jeweils ein Tag aufgerufen, der eine zieht aus der Schale eine Nummer und die andere liest den Text vor, der zu dieser Nummer gehört. Das ganze wird von zwei Leuten protokolliert. Nach einem Vormittag stehen damit 365 oder 366 alttestamentliche Worte für ein Jahr fest. Nun kann der Losungsbearbeiter an die Arbeit gehen und dazu die neutestamentlichen ‚Lehrtexte‘ und die Gebete bzw. Lieder suchen. Er wird hierin durch einen Redaktionskreis von ca. zehn Menschen aus verschiedenen Kirchen begleitet. Wenn er nach einem Jahr seine Arbeit an dem Jahrgang abgeschlossen und die Kirchenleitung den endgültigen Text festgestellt hat, gehen die Übersetzer und Bearbeiter für die anderen Sprachen ans Werk.

Wir bekommen viele Rückmeldungen – besonders natürlich aus Deutschland, da die anderen Ausgaben ja jeweils durch kirchliche Institutionen und Bibelgesellschaften aus ihrem Bereich herausgegeben werden. Die Reaktionen sind vor allem ermutigend. Immer wieder erzählen uns Menschen, wie sie in ihrem Glaubensleben durch Worte der Losungen begleitet, gestärkt und herausgefordert wurden. Natürlich gibt es auch immer wieder kritische Anmerkungen, die sich zum Teil auf die benutzten Bibelübersetzungen beziehen, aber immer wieder auch auf theologische Fragen, wie das Verhältnis von Altem und Neuem Testament in den Losungen.

Was verbinden Sie persönlich mit der Jahreslosung 2013, die mehr als nur ein Bibelvers für den Januar sein sollte, sondern als Geleitwort durch das ganze Jahr führen?

Welschen: Gerade am Ende des Jahres 2012 habe ich schmerzlich wahrgenommen, dass wir hier keine bleibende Stadt haben. Vergänglichkeit und Schmerz wurden uns eindrücklich vor Augen gestellt (nicht nur in dem Attentat auf die Grundschule in den USA). Diese Erfahrungen, die wir ja immer wieder machen, führen uns als Christen aber nicht in die Hoffnungslosigkeit oder in Sackgassen. Wir werden – durch Worte, wie das der Jahreslosung – mit unserem Leben und unserem Dienst – in einen weiten Raum der Erwartung gestellt. Die zukünftige Stadt Gottes, die in der Bibel ja als ein Raum beschrieben wird, in dem Gott gegenwärtig ist, wo Tränen abgewischt werden, wo Leid und Geschrei ein Ende haben, wo Menschen geschwisterlich leben. Das alles kann und soll die Perspektive unserer Arbeit als Kirchen im Jahr 2013 sein: Einerseits in dieser Erwartung zu leben und zu wissen, dass nur Gott diese Stadt schenken kann. Andererseits etwas davon in unseren Gemeinden und Kirchen schon heute verwirklichen und so auf die neue Stadt Gottes hinweisen. Das ist für mich die Ermutigung und Herausforderung, die die Jahreslosung 2013 bereithält. Um dies zu buchstabieren und zu leben, braucht man mehr als den Januar, ja mehr als das Jahr 2013 - es bleibt wohl eine Lebensaufgabe.

Pfarrer Johannes Welschen ist Mitglied des Direktoriums (der Kirchenleitung) der Evangelischen Brüder-Unität – Herrnhuter Brüdergemeine und stellvertretender Delegierter in der Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland.