Ein ökumenisches Plädoyer für die Menschenwürde

Dr. Elisabeth Dieckmann, Geschäftsführerin der ACK in Deutschland, Foto: KNA

Dr. Elisabeth Dieckmann, Geschäftsführerin der ACK in Deutschland, Foto: KNA

(27.04.2016) Dass Papst Franziskus, der ökumenische Patriarch Bartholomaios I. und der Athener Erzbischof Hieronymus II. sich in ihrer gemeinsamen Erklärung von Lesbos einzig auf die Charta Oecumenica beziehen, ist für Elisabeth Dieckmann, Geschäftsführerin der ACK in Deutschland, ein wichtiges ökumenisches Zeichen und ein Plädoyer für die uneingeschränkte Geltung der Menschenrechte. In einem Gastbeitrag für die "Ökumenischen Informationen" der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) erläutert sie, warum:

"Als im Jahr 2001 in Straßburg mit der Charta Oecumenica der erste gemeinsame Text der Kirchen Europas seit 1.000 Jahren unterzeichnet wurde, geschah das in einer Zeit des Umbruchs. Vorangegangen war der Fall der Mauer, der nicht nur die politische Landschaft vor Herausforderungen stellte, sondern das Verhältnis der Kirchen zueinander veränderte und sogar zu Konflikten führte. Diese suchte man auf der Grundlage der Charta und der in ihr enthaltenen gemeinsam formulierten Selbstverpflichtungen zu bearbeiten. Die Charta Oecumenica ist ein europäisches Dokument, aber sie nennt schon in der Präambel einen Grundsatz, der die Kirchen über alle Grenzen hinweg verbindet: Sie wollen „mit dem Evangelium für die Würde der menschlichen Person als Gottes Ebenbild eintreten und als Kirchen gemeinsam dazu beitragen, Völker und Kulturen zu versöhnen". Ausgehend von diesem Grundsatz werden Leitlinien und Selbstverpflichtungen formuliert, die die Einheit der Kirche, ihren gesellschaftlichen Auftrag in Europa und das Verhältnis zu den anderen Religionen betreffen.

Vor Umbrüchen, ausgelöst durch die große Zahl der Flüchtlinge, steht Europa auch gegenwärtig. Es ist bemerkenswert, dass Papst Franziskus, der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. und der Athener Erzbischof Hieronymos II. sich in ihrer gemeinsamen Erklärung zur Flüchtlingskrise auf die Charta Oecumenica – als einzigen Referenztext – berufen. Sie bestätigen sie damit als ein Dokument, das auch über Europa hinaus Geltung besitzt, und bekräftigen die in ihr enthaltenen Selbstverpflichtungen. Ihre Erklärung ist ein eindringliches Plädoyer dafür, an der Geltung der Menschenwürde und der Menschenrechte, die unteilbar sind, festzuhalten. Konkret heißt das zunächst, wie der Besuch der drei Kirchenführer auf Lesbos deutlich macht, hinzusehen und die Not der Flüchtlinge und ihre Schicksale zur Kenntnis zu nehmen. Es heißt auch, Hilfe zu leisten, und dies ohne Ansehen der Person, also ohne z.B. Flüchtlinge je nach ihrer Religionszugehörigkeit unterschiedlich zu behandeln. Schließlich müssen die Kirchen sich als Anwälte einer Politik verstehen, die die Flüchtlingskrise als gemeinsame Aufgabe der internationalen Gemeinschaft begreift und entsprechend handelt.

Die Charta Oecumenica wurde einmal „ein Prozess, ein Text und ein Traum" genannt. Die Erklärung von Lesbos zeigt, dass der Weg, auf den sich die Kirchen mit der Charta begeben haben, weitergeht und dass der „Traum" von einer Versöhnung zwischen Kirchen, Völkern und Kulturen lebendig ist. Allerdings bedarf er, um Wirklichkeit zu werden, des tatkräftigen Einsatzes aller Kirchen. Durch die Erklärung dürfen sich alle ermutigt fühlen, die sich für die Flüchtlinge und für eine Lösung der Krise auf dem Boden von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten einsetzen, ebenso aber auch diejenigen, die sich für die Rezeption und Umsetzung der Charta Oecumenica und für die Einheit der Kirche einsetzen. Denn das Bemühen um die Einheit der Christen und die Sendung der Kirche zum Dienst an der Welt gehören zusammen.

Die Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) haben die Charta Oecumenica 2003 unterzeichnet und 2006 Vorschläge vorgelegt, wie sie in Deutschland umgesetzt werden kann. Beides bildet die Basis für das Engagement der ACK angesichts religiöser Konflikte, die die Flüchtlinge aus ihrer Heimat mitbringen: Die ACK hat in diesem Jahr zusammen mit dem Zentralrat der Juden und vier muslimischen Verbänden das Projekt „Weißt du, wer ich bin?" neu aufgelegt und den Schwerpunkt auf die interreligiöse Zusammenarbeit in der Flüchtlingshilfe gelegt (www.weisstduwerichbin.de)."

Elisabeth Dieckmann 

(c) KNA