Kirchenwechsel – Tabuthema der Ökumene?

Prof. Dr. Christoph Raedel, Vorsitzender des Vereins für Freikirchenforschung, Foto: privat

(30.03.2015) Mit diesem Thema beschäftigte sich die Frühjahrstagung des Vereins für Freikirchenforschung e.V. am 28./29. März 2015 im Kloster Höchst im Odenthal. Über 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem breiten Spektrum der evangelischen Freikirchen setzen sich damit auseinander, dass der Kirchenwechsel für Kirchenmitglieder in unserer Gesellschaft „zur selbstverständlichen und unproblematischen Realität geworden ist“, sagte Professor Christoph Raedel, systematischer Theologe an der Freien Theologischen Hochschule Gießen und Vorsitzender des Vereins. Der Konfessionswechsel sei für die Kirchen aber nach wie vor problematisch, denn er tangiere das eigene Selbstverständnis, Strukturen und Interessen in verschiedenen Bereichen.

Bereits seit einigen Jahren sei das Thema virulent gewesen, berichtete Maria Stettner (München), Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Bayern. 2003 veranstaltete die ACK Deutschland einen Studientag zur Thematik, 2006 nahm die ACK Bayern das Thema auf und erarbeitete eine Handreichung zum „Seelsorgerlichen Umgang mit dem Wunsch nach Konfessionswechsel“, die 2010 zum 2. Ökumenischen Kirchentag veröffentlicht wurde. Der lange Prozess bis zur Veröffentlichung erkläre sich dadurch, dass der Text der Handreichung immer wieder mit den Kirchen abgestimmt wurde und mit der Schwierigkeit umgegangen werden musste, dass etwa schon die Begrifflichkeiten „Wechsel, Übertritt, Konversion, zwischen Kirche(n), Konfession(en), Denomination(en)“ unterschiedlich verstanden werden.

Staatskirchenrechtliche Aspekte eines Kirchenwechsels skizzierte Professor Gerhard Robbers (Trier), Justizminister des Landes Rheinland-Pfalz. Er unterstrich, dass es sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der europäischen Menschenrechtskonvention jederzeit möglich sein müsse, die Religion und Konfession zu wechseln: „Es darf keine Fristen geben. Er muss sofort ermöglicht werden. Es dürfen keinem Steine in den Weg gelegt werden.“ Da in Deutschland der Staat für die Kirchen die Kirchensteuer einzieht, liege ein Problem beim Übertritt aus einer Kirchensteuer erhebenden Kirche darin, dass auch bei einem Übertritt in eine andere Kirche der vorherige Austritt vor einer entsprechenden staatlichen Stelle erklärt werden müsse. Für die meisten Mitgliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bedeute diese Austrittserklärung den Austritt aus der „ecclesia universalis“. Robbers wies auf Übertrittsvereinbarungen hin, wie sie etwa in Sachsen und Baden-Württemberg gelten und regte die Tagungsteilnehmer an, darüber nachzudenken, ob ein Kirchenübertritt statt wie bisher als kirchentrennend nicht eher als kirchenverbindend verstanden werden sollte.

Karl Heinz Vogt (Bremen), evangelisch-methodistischer Theologe und Kirchenhistoriker, stellte das Thema in einen historischen Zusammenhang. In Deutschland sei die grundgesetzlich garantierte „Religionsfreiheit“ gegen die Staatskirchen des 19. Jahrhunderts mühevoll erkämpft worden. Außer auf den Gebieten der beiden Stadtstaaten Bremen und Hamburg und dem Herzogtum Oldenburg seien beispielsweise die „methodistische Mission“ und die methodistischen Missionare im Zusammenspiel von staatlichen und kirchlichen Organen verketzert und verfolgt worden. Ähnliche Erfahrungen schilderten auch Vertreter anderer Freikirchen. Im Blick auf das Reformationsgedenken 2017 stand bei den Teilnehmern der Tagung die Frage im Raum, ob dieses Datum nicht Anlass sein könne, einen Heilungsprozess (healing of memories) anzustoßen, der zu einer echten Versöhnung nach diesen Verletzungen führen könnte.

Die besondere Situation für freikirchliche Lehrer, die staatlichen Religionsunterricht erteilen, schilderte der Jurist Harald Mueller, Leiter des Instituts für Religionsfreiheit der adventistischen Theologischen Hochschule Friedensau bei Magdeburg, anhand der gelten Ordnungen der Landeskirchen für Religionslehrer (Vocatio). Nicht selten hätten solche Ordnungen zu mehr oder minder gezwungenen Konfessionswechseln oder Doppelmitgliedschaften geführt, weil sonst das Unterrichten nicht möglich gewesen wäre. Hier müsse überlegt werden, wie diese Ordnungen geöffnet werden können.

Der Pädagoge und Erziehungswissenschaftler Reinhold Bühne (Rotenburg/Wümme) zeigte Aspekte eines Kirchenwechsels unter soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Modellen auf. In einer sich „ständig verändernden Gesellschaft“ sei der Wechsel von Individuen aber auch von Gemeinden selbst eine „normale Reaktion“. In Rotenburg sei beispielsweise eine Gemeinde, die zur landekirchlichen Gemeinschaft gehörte, zum Bund Freier evangelischer Gemeinden gewechselt. Rund 50 Personen hätten diesen Wechsel allerdings nicht mitgemacht und seien seitdem „heimatlos“. Jede Veränderung, jeder Wechsel sei ein mehr oder weniger „kleiner neuer Anfang“, sagte Bühne. Als Krise berge dieser Anfang beides in sich, sowohl die Gefahr als auch die Chance zu Neuem. „Wer einen Wechsel konstruktiv gestaltet, kann dabei gewinnen. Wer loslassen kann, kann Neues anfassen.“

 

Weitere Informationen

Athanasios Basdekis und Klaus Peter Voß (Hg.), Kirchenwechsel – ein Tabuthema der Ökumene? Verlag Otto Lembeck, Frankfurt am Main 2004

Jörg Stolz, Oliver Favre, Caroline Gachet und Emmanuelle Burchard (Hg.), Phänomen Freikirchen - Analysen eines wettbewerbsstarken Milieus, Pano Verlag, Zürich 2014, ISBN 978-3-290-22025-9

"Seelsorglicher Umgang mit dem Wunsch nach Konfessionswechsel", Handreichung der ACK Bayern, Altötting 2010, beziehbar bei ACK Bayern, Marsstr. 5, 80335 München, www.ack-bayern.de

Homepage des Vereins für Freikirchenforschung

Text: Bernd Densky