Tradition in den Kirchen

(18.01.2011) Frankfurt. Bindung, Kritik, Erneuerung , Bernd Oberdorfer und Uwe Swarat (Hrg) im Auftrag des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA), Verlag Otto Lembeck, 2011, 375 Seiten, kart. 24 Euro - In der gegenwärtigen ökumenischen Diskussion ist die Frage nach der konfessionellen Identität erneut ins Blickfeld geraten. Die einzelnen Konfessionen fragen verstärkt nach dem spezifischen Zeugnis, das sie jeweils zur Gemeinschaft der Christenheit beitragen können. Aber worin besteht die Identität, die die Konfessionen jeweils beanspruchen, und worauf gründet sie? Was sind die normativen Kriterien für den Umgang mit den Traditionen und die Bestimmung konfessioneller Identität?

An diesen Fragen nimmt die jüngste Studie des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses (DÖSTA) – erschienen als Beiheft zur Ökumenischen Rundschau Nr. 89 - ihren Ausgangspunkt. In ökumenisch multilateraler Arbeitsweise erstellt, kommt sie zum Ergebnis: Die getreue Weitergabe des Evangeliums ist der theologische Grundvollzug von Kirche. Dem Vorgang der Tradition wohnt jedoch eine Dynamik inne: Indem Tradition sich bildet, erzeugt sie eine Verbindlichkeit, die unter veränderten Umständen eine Fortschreibung verlangt, zu der auch Kritik gehört. Die gängige Unterscheidung zwischen einer nur einengenden Traditionsbindung und einer nur durch Loslösung von den Traditionen zu erringenden freien Lebensgestaltung wird den komplexen Phänomenen der Traditionsweitergabe nicht gerecht und entspricht auch nicht den neueren Einsichten der Kulturwissenschaften.

Ausführlich wird beschrieben, wie sich die Dynamik von Traditionsbildung, -bindung, -fortschreibung und -kritik in den einzelnen Konfessionen gestaltet. Dabei finden nicht nur die in Deutschland mitgliederstarken Konfessionen Beachtung, sondern auch die altorientalischen, orthodoxen, mennonitischen, baptistischen, methodistischen, altlutherischen und altkatholischen Traditionsverständnisse. Eine derart vielfältige Selbstvorstellung kirchlicher Traditionsbegriffe findet man sonst nirgendwo.

Dass bei der identitätsstiftenden Weitergabe des Evangeliums neben der theologischen Reflexion immer auch kulturelle, politische oder ökonomische Faktoren eine Rolle spielen, wird ebenso herausgestellt wie die Bedeutung sozial- und kulturwissenschaftlicher Zugänge für das Verständnis konfessioneller Tradierungsprozesse. Als theologische Tiefendimension der Vielfalt und Strittigkeit von Traditionsbildungen wird die Einsicht herausgearbeitet, dass Weitergabe immer auch Hingabe, ja Preisgabe ist und die Möglichkeit des Missverstehens einschließt. Die Studie endet mit dem Ausblick, dass ungeachtet aller Differenzen das trinitarisch entfaltete Christuszeugnis als gemeinsam anerkannter Fokus der Traditionstreue das wechselseitige Verstehen und die weitere ökumenische Verständigung zu fördern vermag.

Die Autoren:

Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, Professor für Evangelische Theologie mit Schwerpunkt Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen an der Universität Augsburg, gehört dem DÖSTA seit 2005 an.

Prof. Dr. Uwe Swarat, Professor für Systematische Theologie am Theologischen Seminar Hamburg/Elstal, seit 2006 Vorsitzender des DÖSTA.