Noch älter ist die Tradition der Bibelwoche. Ihre Anfänge gehen zurück auf das Jahr 1935, als sich unter nationalsozialistischer Herrschaft Pastoren der Bekennenden Kirche zur Vorbereitung einer Bibelwoche versammelten, die anschließend in Karlsruhe erstmalig durchgeführt wurde. Seitdem werden jeweils sieben Textabschnitt für jedes Jahr aus einem biblischen Buch ausgewählt und Arbeitsmaterialien erstellt, um sich eine Woche intensiv und kreativ in kirchlichen Kreisen und Gruppen mit der Bibel auseinanderzusetzen.
Bibelwoche und Bibelsonntag als Einheit
Inzwischen werden Bibelwoche und Bibelsonntag zumeist als Einheit gestaltet und in ökumenischer Verbundenheit von Christen unterschiedlicher Konfessionen vor Ort gefeiert. Die gemeinsame gottesdienstliche Feier am Bibelsonntag bildet dann oft den Abschluss der vorausgegangenen Bibelwoche.
Kirche träumen
In diesem Jahr beschäftigt sich die Ökumenische Bibelwoche mit der Apostelgeschichte, die man auch als „erste Kirchengeschichte“ bezeichnen kann. Sie malt ein ideales Bild von Kirche. Deshalb trägt die Bibelwoche die Überschrift „Kirche träumen“.
In sieben Texten aus der Apostelgeschichte geht sie den Fragen über das Zusammenleben in der Gemeinde nach: Wie können Konflikte und Herausforderungen einmütig gelöst werden? Wie können wir wachsen? Und rechnen wir eigentlich noch mit Wundern?
Aus der Vielfalt schöpfen
Der Bibelsonntag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Zwischen Schiffbruch und Aufbruch“ und wurde von Vertreterinnen und Vertreter der ACK aus unterschiedlichen Konfessionsfamilien vorbereitet. In dem eigens für diesen Bibelsonntag verfassten Gottesdienstentwurf finden sich Elemente ganz unterschiedlicher liturgischer Traditionen, wodurch ein Eindruck der ökumenischen Vielfalt in Deutschland gewonnen werden kann.
Vom Bibeltext sich inspirieren und herausfordern lassen
„Mir ist deutlich geworden, wie idealisiert die Apostelgeschichte die Kirche beschreibt“, berichtet Dr. Jochen Wagner, Freikirchenreferent der ACK, von seinen Erfahrungen aus dem multikonfessionellem Vorbereitungsteam für die Materialien zum Bibelsonntag. „Es ist wichtig, sich von diesem Ideal nicht erdrücken, sondern inspirieren und herausfordern zu lassen.“
Aus Hoffnungslosigkeit erwächst Zuversicht
Gemeinsam mit Erzpriester Radu Constantin Miron, Vorsitzender der ACK, hat Wagner einen Predigtimpuls zu dem ausgewählten Text für den Bibelsonntag vorbereitet – die Erzählung von dem Schiffbruch des Apostel Paulus vor Malta (Apostelgeschichte 27). Trotz des Schiffsbruchs wurden alle Mitreisenden gerettet.
Wagner sieht darin ein Bild des Scheitern Dürfens und wieder neu anfangen Könnens. „Mit der Erfahrung des Scheiterns offen umzugehen, ist in einer Gesellschaft der Erfolge und der Selbstoptimierung nicht immer leicht“, übersetzen der orthodoxe Priester und Freikirchenpastor den Bibeltext in unsere heutige Leistungsgesellschaft. „Ich wünsche mir, dass wir uns auch als Kirche unser Scheitern eingestehen. Dann können wir wieder neu aufbrechen“, beschreibt Wagner seine Hoffnung, welcher Impuls von dem Bibelsonntag für die Kirchen und Gemeinden ausgeht. „Mir liegt am Herzen, dass wir nicht aufhören zu träumen – auch nicht davon, wie Kirche sein könnte.“
Weltweiter Sonntag des Wortes Gottes
Aufgrund der jahrzehntelangen Tradition, dass katholische, evangelische, orthodoxe und freikirchliche Gemeinden das Wort Gottes an diesem Sonntag gemeinsam feiern, hat die Deutsche Bischofskonferenz im Frühjahr 2020 entschieden, dass der weltweite Sonntag des Wortes Gottes in Deutschland gleichzeitig mit dem ökumenischen Bibelsonntag gefeiert wird. Der Bibelsonntag ist eine gemeinschaftliche Initiative der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, der Deutschen Bibelgesellschaft, dem Katholischen Bibelwerk und der Evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung.