Geschichte und Anliegen der Gebetswoche

Die Vorgeschichte dieser Gebetswoche ist bereits im 19. Jahrhundert in anglikanischen Kreisen, vor allem der so genannten Oxford-Bewegung zu suchen. Aber auch die Tatsache, dass die 1846 gegründete Evangelische Allianz in ihrer weltweiten Gebetswoche einen Tag dem Gebet für die eine Kirche Jesus Christi widmete, spielte eine wichtige Rolle.

Die eigentlichen Anfänge der heutigen Gebetswoche gehen auf zwei voneinander zunächst unabhängige Initiativen zurück: Zum einen hatte der Anglikaner Paul Wattson (gemeinsam mit Laura White Gründer der Society of the Atonement als Zweig der franziskanischen Ordensfamilie) – ein Jahr, bevor er 1909 mit seiner Gemeinschaft zur römisch-katholischen Kirche übertrat – für die Zeit vom 18. Januar (damals Fest der Stuhlfeier des Heiligen Petrus) und dem 25. Januar (Fest der Bekehrung des Apostels Paulus) eine Gebetsoktav eingeführt, die die Rückkehr der verschiedenen christlichen Kirchen nach Rom zum Inhalt hatte. Dieses wurde 1916 durch Papst Benedikt XV. als für die ganze römisch-katholische Kirche verbindlich erklärt. Die Gebetsoktav bekam dann in den 30er und 40er Jahren eine deutlich andere Richtung, als Abbé Paul Couturier in Lyon (Frankreich) erkannte, dass das Gebet für die Einheit nur Sinn hat, wenn es gemeinsam mit Nicht-Katholiken gebetet wird. Von diesen konnte aber nicht verlangt werden, für die Rückkehr nach Rom zu beten. Die Gebetswoche wurde daher allgemein dem Gebet für die Einheit gewidmet – „wann Christus sie will und mit welchen Mitteln er sie herbeizuführen gedenkt“. 1959 wurde diese Änderung durch Papst Johannes XXIII. offiziell gebilligt.

Der zweite Ursprung der Gebetswoche ist eine Initiative des Vorbereitungsausschusses für die erste Weltkonferenz für Glaube und Kirchenverfassung, der 1920 eine spezielle Gebetswoche für die Einheit angeregt hatte, die in der Pfingstzeit abgehalten werden sollte. Dafür wurde jedes Jahr den Kirchen ein kleines Materialheft zur Verfügung gestellt. 1941 verlegte die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung dieses Datum in den Januar, um Christen aller Konfessionen das Beten für die Einheit gemeinsam mit den Katholiken zu ermöglichen. Ab 1958 wurde die Ausarbeitung des liturgischen Materials von Glauben und Kirchenverfassung und der katholischen Seite aufeinander abgestimmt, und ab 1960 ging man dazu über, es eingehend gemeinsam zu besprechen. Durch das Ökumenismusdekret des 2. Vatikanischen Konzils wurde offiziell die Zusammenarbeit zwischen dem Nachfolger Couturiers in Lyon, P. Pierre Michalon, und dem Sekretariat für Glauben und Kirchenverfassung des ÖRK bei der Vorbereitung der Gebetswoche möglich. 1966 wurde vom ÖRK und dem Päpstlichen Einheitsrat auf einer gemeinsamen Konsultation beschlossen, das Material in Zukunft von einer gemeinsamen Arbeitsgruppe erarbeiten zu lassen, bevor es den Kirchen zugeschickt wird mit der Bitte, es ihrem jeweiligen Kontext anzupassen und die Feier vor Ort gemeinsam vorzubereiten. Seit 1973 wird jeweils eine ökumenische Gruppe in einem bestimmten Land um einen ersten Entwurf gebeten, der dann von der gemeinsamen Arbeitsgruppe so bearbeitet wird, dass er weltweit verwendet werden kann. Dieses Material, bestehend aus einem Thema, einem Entwurf für einen ökumenischen Gottesdienst, Bibeltexten und kurzen Meditationen und Gebeten für jeden der acht Tage, wird auf Englisch und Französisch veröffentlicht. Der ÖRK schickt das Material an seine Mitgliedskirchen, der Vatikan an die Bischofskonferenzen. In Deutschland wird der Text in der Geschäftsstelle der ACK übersetzt und für den deutschen Kontext überarbeitet. Außerdem werden weitere Arbeitshilfen dazu herausgegeben.

Die Gebetswoche macht deutlich, dass ökumenische Bemühungen ohne die Hilfe des Heiligen Geistes keine Aussicht auf Erfolg haben. Gleichzeitig muss das Gebet für die Einheit immer auch Taten nach sich ziehen. Die Gebetswoche bedeutet nicht Beten „um“ die Einheit, sondern Beten „für“ die Einheit, die den Christen in Jesus Christus bereits geschenkt ist und deren Pflege und Sichtbarmachung ihnen anvertraut ist.

Dagmar Heller, Art. Gebetswoche, in: Taschenlexikon Ökumene, hg. von Harald Uhl, Frankfurt am Main/Paderborn 2003, S. 110-112

Eine ausführliche Darstellung findet sich hier: Dagmar Heller: Seele der ökumenischen Bewegung. Zur Geschichte und Bedeutung der Gebetswoche für die Einheit der Christen, in: H. Vorster (Hg.): „Ökumene lohnt sich“, Beiheft zur Ökumenischen Rundschau 68, Frankfurt/M. 1998, S. 312-320


Schlüsseldaten der Geschichte der Gebetswoche für die Einheit der Christen

  • um 1740: In Schottland entsteht eine Pfingstbewegung mit Verbindungen nach Nordamerika, deren Erweckungsbotschaft Gebete für und mit allen Kirchen umfasst.
  • 1820: Pastor James Haldane Stewart veröffentlicht „Hinweise für eine allgemeine Vereinigung der Christen zum Gebet für die Ausgießung des Heiligen Geistes“.
  • 1840: Pastor Ignatius Spencer, ein Konvertit zum römischen Katholizismus, schlägt eine „Gebetsunion für die Einheit“ vor.
  • 1867: Die Erste Konferenz der anglikanischen Bischöfe in Lambeth betont das Gebet für die Einheit in der Präambel ihrer Resolutionen.
  • 1894: Papst Leo XIII. ermutigt zur Durchführung einer Gebetsoktav für die Einheit im Rahmen des Pfingstfestes.
  • 1908: Erste Feier der „Oktav für die Einheit der Kirche“, die von Pastor Paul Wattson initiiert wird.
  • 1926: Die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung beginnt mit der Veröffentlichung von „Vorschlägen für eine Gebetsoktav für die Einheit der Christen“.
  • 1935: Abbé Paul Couturier aus Frankreich empfiehlt die „Weltweite Gebetswoche für die Einheit der Christen“ auf der umfassenden Grundlage des Gebets für „die Einheit, die Christus will, mit den Mitteln, die er will“.
  • 1958: Unité Chrétienne (Lyon, Frankreich) und die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen beginnen mit der gemeinsamen Vorbereitung von Materialien für die Gebetswoche.
  • 1964: In Jerusalem beten Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. gemeinsam das Gebet Jesu, „dass sie alle eins seien“ (Joh 17).
  • 1964: Das Dekret über den Ökumenismus des Zweiten Vatikanischen Konzils unterstreicht, dass das Gebet die Seele der ökumenischen Bewegung ist, und ermutigt zur Feier der Gebetswoche.
  • 1966: Die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen und das Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen (heute bekannt als Dikasterium zur Förderung der Einheit der Christen) beginnen offiziell mit der gemeinsamen Vorbereitung des Materials zur Gebetswoche.
  • 1968: Erste offizielle Verwendung von Material für die Gebetswoche, das gemeinsam von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung und dem Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen erarbeitet wurde.
  • 1975: Erste Verwendung von Material für die Gebetswoche auf der Grundlage eines Textentwurfs, der von einer lokalen ökumenischen Gruppe ausgearbeitet wurde.
  • 198: Die Materialien der Gebetswoche werden beim Gottesdienst anlässlich der Gründung der Christlichen Föderation von Malaysia verwendet, die die wichtigsten christlichen Gruppierungen in diesem Land verbindet.
  • 1994: Zu der internationalen Gruppe, die den Text für 1996 vorbereitet, gehören Vertreter des CVJM und des CVJF.
  • 2004: Es wird vereinbart, dass die Materialien für die Gebetswoche für die Einheit der Christen gemeinsam von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (ÖRK) und dem Päpstlichen Rat (jetzt: Dikasterium) zur Förderung der Einheit der Christen (katholische Kirche) veröffentlicht und im gleichen Format produziert werden.
  • 2008: Gedenken an das 100-jährige Jubiläum der Gebetswoche für die Einheit der Christen. (Ihre Vorgängerin, die Gebetsoktav für die Einheit der Kirche, wurde erstmals 1908 gefeiert.)
  • 2017: Anlässlich des 500-jährigen Reformationsjubiläums werden die Materialien für die Gebetswoche 2017 von Christen in Deutschland vorbereitet.
  • 2025: Anlässlich der Feierlichkeiten zum 1700. Jahrestag des Ersten Ökumenischen Konzils der Kirche, das 325 n. Chr. in Nizäa in der Nähe von Konstantinopel stattfand, werden die Materialien von den Brüdern und Schwestern der monastischen Gemeinschaft von Bose in Norditalien vorbereitet.