Bericht vom Auftakt zu 500 Jahre Täuferbewegung in Hamburg

(12.10.2020). Ein ökumenischer Gottesdienst am 10. Oktober in Hamburg bildete den Auftakt zum Gedenken an 500 Jahre Täuferbewegung. Fünf Themenjahre stehen bis 2025, dem Gedenken an die erste täuferische Glaubenstaufe 1525, unter der Überschrift „gewagt!“. Die Zeremonie, eine Podiumsdiskussion und die Grußworte von Vertreterinnen und Vertretern aus Kirche und Politik machten deutlich: Dieser dritte Flügel der Reformation setzte sich von Anfang an gegen teils heftige Widerstände für Ideale wie Religionsfreiheit und Gewaltlosigkeit ein, die noch heute von ungebrochener Aktualität sind.

Erzpriester Miron (l.) betet um Versöhnnung und um Miteinander bei der Eröffnung zu 500 Jahre Täuferbewegung mit Vertreterinnen und Vertretern der täuferischen Kirchen. Foto: Michael Gruber (BEFG)

Erzpriester Miron (3.v.l.) diskutierte zum Thema der Religionsfreiheit mit (v.l.n.r.): Prof. Dr. Fernando Enns, Doris Hege (AMG) und Christoph Stiba (BEFG). Foto: Michael Gruber (BEFG)

Im Mittelpunkt der Eröffnungszeremonie stand die symbolhafte Weitergabe eines Wanderstabs, der ein Zeichen der Täuferbewegung war, wie die 1. Vorsitzende des Vereins „500 Jahre Täuferbewegung 2025“, die Mennonitin PD Dr. Astrid von Schlachta, hervorhob: „Täufer waren häufig auf Reisen: Oft freiwillig, um die christliche Botschaft weiterzugeben, oft aber auch erzwungen, weil sie wegen ihrer Überzeugungen stets mit Verfolgung und Landesverweis rechnen mussten.“ Zudem stehe der Wanderstab für die Entscheidung der Täufer, diesen nicht – wie damals auf Reisen üblich – zur Verteidigung zu nutzen, sondern sich stattdessen für Gewaltlosigkeit einzusetzen.

Dr. Andreas Liese, Baptist und 2. Vereinsvorsitzender, beschrieb die Täufer bei der Zeremonie als „kleine Herde, die auf der Gewissens- und Glaubensentscheidung des Einzelnen beruhte, nicht auf der Untertanenpflicht“ – ein Aspekt, den auch die Historikerin Prof. Dr. Andrea Strübind hervorhob. So habe für die Täuferbewegung der Grundsatz gegolten: „Christus als alleiniger Hirte und Herr – machtkritisch, anstrengend, basisdemokratisch. Eine Provokation, ein Ideal, ein Erbe, das wie ein Stachel im zufriedenen, frommen Fleisch steckt.“ Deshalb hätten Täufer lange unter schwerer Verfolgung leiden müssen: „Bis zu 2.500 Hinrichtungen von Täufern und Täuferinnen lassen sich allein für das 16. Jahrhundert nachweisen.“ Dies habe zu Glaubensmigration geführt, wie Johannes Dyck, Leiter des Instituts für Theologie und Geschichte am Bibelseminar Bonn, aufzeigte: „Wieder unterwegs sein – auf der Flucht – auf der Suche nach einer Zuflucht – wo Täufer und Täuferinnen geduldet und nicht verfolgt werden. Aufbruch ins Ungewisse, alles loslassen, voller Angst und Trauer, aber auch voller Vertrauen in Gottes Führung.“

Am Ende des Eröffnungsrituals reichten einander zwei Vertreterinnen und ein Vertreter aus Kirche und Ökumene den Wanderstab weiter und verbanden dies mit einem Segenswort: die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) Doris Hege, die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland Dr. Verena Hammes und der Präsident der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) und Generalsekretär des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) Christoph Stiba.

In seiner per Video übertragenen Predigt zu Matthäus 7,24-29 stellte der amerikanische Historiker Prof. John D. Roth Charakteristika des Wirkens Jesu Christi heraus, die Teil von dessen „Vollmacht“ gewesen seien und die Täuferbewegung inspiriert hätten. Jesus habe Gastfreundschaft praktiziert, die „über die ethnischen Grenzen“ hinausreichte bis zu den Samaritern. „Er wandte sich Leprakranken und Krüppeln und Bettlern genauso zu wie römischen Hauptleuten oder den religiösen Eliten des Judentums.“ Jesus habe in großer Ehrlichkeit Dinge offen angesprochen. Auch ein Kennzeichen der frühen täuferischen Bewegung sei die wahrheitsgetreue Rede gewesen: „Die Täufer weigerten sich, Eide zu schwören, einfach, weil sie davon ausgingen, dass die Nachfolger Jesu immer die Wahrheit sagen.“ Jesu Heilungen hätten auf eine Wiederherstellung des ganzen Menschen abgezielt, was auch Menno Simons, den Namensgeber der Mennoniten, inspiriert habe, den Roth mit den Worten zitierte: „Wahrer evangelischer Glaube kann nicht schlummern. Er kleidet die Nackten, er nährt die Hungrigen, er tröstet die Trauernden, er beherbergt die Mittellosen, er dient denen, die ihm schaden, er verbindet das Verwundete, er ist allen Geschöpfen alles geworden.“ Schließlich sei Jesus Christus ein Vorbild an Demut gewesen, jedoch nicht in einer angstvollen, sondern einer kühnen Form: „Dies ist das Herzstück des täuferischen Verständnisses von Gelassenheit − nicht Selbsterniedrigung, sondern ein ‚Nachgeben‘ gegenüber dem Heiligen Geist und dem Beispiel Christi.“

Eine Vertreterin aus der Politik und drei kirchliche Vertreter hielten Grußworte: Petra Lotzkat, Staatsrätin der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration der Freien und Hansestadt Hamburg, Erzpriester Radu Constantin Miron, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland, Weihbischof Horst Eberlein vom Erzbistum Hamburg sowie VEF-Präsident und BEFG-Generalsekretär Christoph Stiba.

Petra Lotzkat hob die geschichtliche Bedeutung der Täuferbewegung hervor und würdigte das große gesellschaftliche und soziale Engagement von Kirchen, die in dieser Tradition stehen. Gerade in der Stadt Hamburg hätten die Mennoniten mit ihrem wirtschaftlichen Erfolg stets zum gesellschaftlichen Miteinander beigetragen. Hamburg beziehungsweise Altona, so hob die Staatsrätin hervor, hätten den Täufern in den vergangenen Jahrhunderten stets Offenheit und Toleranz entgegengebracht, wovon bis heute die Straße „Große Freiheit“ zeuge. Dort siedelten sich nicht nur Täufer an, sondern auch andere Religionsgemeinschaften, die anderswo verfolgt wurden.

Radu Constantin Miron hob das große Interesse der ACK am Täufergedenken hervor: „Gerade nach dem großen Reformationsjubiläum 2017 ist es wichtig, auch jene Kirchen in den Blick zu nehmen, die damals womöglich etwas zu kurz gekommen sind; der sogenannte linke Flügel der Reformation.“ Denn hier gehe es „um Themen wie Mündigkeit und Religionsfreiheit. Oder – wieder einmal hochaktuell – die ungemein wichtige Tradition der Friedenskirchen, die bis heute für die Herausforderung eines konsequenten Lebens von Gewaltlosigkeit steht.“ Die ACK begleite das Täufergedenken, und dieses Begleiten umfasse auch den Austausch „über das so zentrale Thema Taufe; er ist nicht abgeschlossen; ich behaupte aber, dass unser ökumenisches Gespräch darüber in den letzten Jahren und Jahrzehnten gegenseitiges Verständnis und Vertrauen füreinander bewirkt hat.“

Christoph Stiba zeigte sich dankbar, dass das Täufergedenken ökumenisch begangen werde und „von Anfang an nicht nur Mennoniten und Baptisten zusammensaßen, sondern die ACK sich hinter dieses Projekt gestellt hat.“ Wie andere würdigte Stiba auch Bernd Densky: „Als Freikirchlicher Referent in der ACK war er von Anfang an treibende Kraft im Täufergedenken. Natürlich auch als Baptist, aber er hat dieses Anliegen in die ACK getragen und als Geschäftsführer des Vereins ‚500 Jahre Täuferbewegung 2025‘ vernetzt und gesteuert. Dass er heute wegen seiner Erkrankung nicht hier sein kann, bedauere ich sehr! Wir haben ihm viel zu verdanken und wollen ihn in unserem Tun und in unseren Gebeten nicht vergessen.“

Im Blick auf gegenseitige Verletzungen zwischen Landes- und Freikirchen sprach Christoph Stiba den Wunsch aus, dass die fünf Jahre des Gedenkens zu einer „Heilung der Erinnerung“ beitragen mögen: „Wir sollten gemeinsam darauf hinarbeiten, dass im Jahr 2025 die Heilung manch unseliger Erinnerungen und die Versöhnung im Mittelpunkt stehen und Ausdruck finden.“ Die Geschichte der Konfessionen sei „keine einseitige Verletzungsgeschichte: Die schmerzhafte Selbsterkenntnis der Freikirchen liegt darin, dass uns in den Freikirchen immer deutlicher bewusst wird, wo wir selbstgerecht und überheblich, also nicht dem Geist Gottes gemäß in Vergangenheit und Gegenwart über den Glauben und die Frömmigkeit unserer landeskirchlichen Geschwister geurteilt haben und urteilen.“ Am Ziel der Versöhnung wolle „die VEF gerne weiter mitwirken.“

Horst Eberlein verlas das Grußwort des Hamburger Erzbischofs Dr. Stefan Heße, das das Motto des Täufergedenkens „gewagt!“ in Bezug stellte zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Probleme oder Corona-Pandemie. „Vertrauen wagen – Nachfolge wagen! In all diesen ungewissen Zeiten, die es auch schon vor Corona gab, können wir Christen auf Jesus Christus vertrauen.“ Es sei schön, dass „wir Kirchen uns über unser ‚Wagnis der Nachfolge‘ heute zur Eröffnung des Täufergedenkens austauschen und wir zusammen das Wagnis der Täuferbewegung feiern. Denn das haben wir gemeinsam: Die Nachfolge Christi ist ganz schön gewagt!“ 

Vor der Zeremonie hatten Radu Constantin Miron und Christoph Stiba auf einem Podium mit der AMG-Vorsitzenden Doris Hege und dem mennonitischen Theologen und Friedensforscher Prof. Dr. Fernando Enns über die Frage diskutiert, was Religionsfreiheit für die Kirchen heute bedeutet. Enns beschrieb in diesem Zusammenhang Evangelisation als ein herausforderndes Thema in der Ökumene. Im Zentrum stehe hier die Frage: „Wie haltet ihr es mit dem Anders- und Nichtglaubenden?“ Gute Antworten auf die Frage nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Mission und dem Respekt vor den Überzeugungen Andersdenkender gebe das ökumenische Papier „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“. Doris Hege wies auf das Beispiel Jesu Christi hin: „Er hat die Menschen geachtet und sie entscheiden lassen, was sie wollen. Bekennen wir unseren Glauben aus innerer Erfüllung oder mit einem angstmachenden Element?“ Radu Constantin Miron berichtete, dass das politische Umfeld der orthodoxen Kirche, wie der Kommunismus oder das Osmanische Reich, lange Zeit keine Mission zugelassen hätte. Mission sei daher undenkbar gewesen. Durch die ökumenischen Begegnungen hätten sich in letzter Zeit hier vermehrt vielfältige Lern- und Erfahrungsorte für die Orthodoxie eröffnet. Christoph Stiba berichtete über ein aktuelles Beispiel für den Einsatz von Christen für die Religionsfreiheit einer anderen Gemeinschaft. So hätten sich jüngst Baptisten in Russland angesichts der neuen diskriminierenden Religionsgesetzgebung für die Zeugen Jehovas eingesetzt. Am Ende der Diskussion forderte Fernando Enns, Kirche müsse sich stets fragen, wo sie Privilegien habe, durch die sie anderen Kirchen oder Religionsgemeinschaften möglicherweise ihre Religionsfreiheit nehme: „Inwieweit sind wir als Kirchen bereit, auf Privilegien gegenüber anderen Religionen zu verzichten?“

Text: Dr. Michael Gruber (BEFG)