Digitales Austauschtreffen nach der 11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe - "am Ball bleiben!"

(Karlsruhe/Frankfurt) Was bleibt von der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) im Sommer in Karlsruhe? Wie werden die Themen weiter bearbeitet? Zu dieser Frage kamen in einem digitalen Austauschtreffen 170 Teilnehmende aus ganz Deutschland und darüber hinaus aus Beirut und Indien zusammen. Neben dankbarer Rückschau gab es auch schon konkrete Ideen und Anregungen weiter an den Themen der ÖRK-Vollversammlung zu arbeiten und auf die gemeinsamen Dokumente und Äußerungen des Weltchristentreffens hinzuweisen.

11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe 2022

Eingeladen hatten die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), das Nationale Koordinierungsbüro für die Vollversammlung, die Evangelische Akademie Bad Boll, Brot für die Welt und die Evangelische Mission Weltweit (EMW). „Es war ein Wunder, dass das so funktioniert hat“, sagte Marc Witzenbacher vom Koordinierungsbüro für die Vollversammlung im Rückblick über das historische Treffen der Kirchen in Karlsruhe. Nach vier Jahren Planung sei wegen Corona wenige Wochen vor der Vollversammlung noch offen gewesen, ob die erstmals in Deutschland tagende Versammlung von 352 Mitgliedskirchen aus 120 Ländern stattfinden könne. 4000 Dauergäste, 30.000 Besucher und Besucherinnen im Rahmenprogramm, 80 Exkursionen, 100.000 Essensportionen, 20.000 digitale Gäste pro Tag, das sind nur wenige Zahlen der Weltversammlung. Unter dem „Magic Sky“, dem großen Zeltdach, das zuletzt in Tokio bei den Olympischen Spielen im Einsatz war, fanden die täglichen Gottesdienste statt. „Aber es war genau das Richtige“ für ein wanderndes Gottesvolk meint Witzenbacher.


„Ein Gefühl der Geschwisterlichkeit nach beiden Seiten“
Dass der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in Karlsruhe zum ÖRK-Moderator gewählt wurde, erfüllt ihn mit Freude. „Es ist mir eine große Ehre, dass mir dieses Amt anvertraut worden ist“. Er spreche statt vom „Ökumenischen Rat der Kirchen“ gerne vom „Weltkirchenrat“, sagte Bedford-Strohm im Interview mit Heike Bosien, Leiterin des Dienstes für Mission, Ökumene und Entwicklung (DiMOE) der württembergischen Landeskirche. „Viele wissen gar nicht, dass das ein weltweiter Rat ist.“ ÖRK-Dokumente, obwohl auf Deutsch verfügbar, würden in Deutschland oft gar nicht wahrgenommen. Kirchenvertreter und -vertreterinnen äußerten sich derzeit zum Krieg in der Ukraine ohne die Bemühungen des ÖRK im Dialog mit den orthodoxen Kirchen beider Seiten zu kennen. Seine Rolle als Moderator sieht er darin, bei kontroversen Themen das Verständnis füreinander zu fördern. „Wir müssen es aushalten, dass Menschen ganz anders ticken. Hart diskutieren und zusammen beten. Das gehört zusammen. Wir schauen auf Christus und erleben: der Heilige Geist ist da.“
„Wir haben so viele Probleme derzeit, die nur weltweit anzugehen sind“, sagte Bedford-Strohm. „Ich bin froh, dass wir uns nicht haben irre machen lassen“, sagte er zu den Forderungen, russische Delegierte von der Vollversammlung auszuschließen. Zu Gesprächen gebe es keine Alternative. „Wir haben als ökumenische Bewegung das Beste getan, was wir tun konnten, und müssen am Ball bleiben.“
Zum Thema „Friede im Nahen Osten“ sei er „teils Tag und Nacht“ im Gespräch gewesen, sagte Bedford-Strohm. „Ich hatte ein Gefühl der Geschwisterlichkeit nach beiden Seiten.“ Er habe die „Ungerechtigkeiten im Heiligen Land“ selbst vor Ort gesehen. Wichtig sei, die jeweils ganz andere Prägung verstehen zu lernen, etwa beim Begriff „Boykott“: „In Südafrika war der Boykott der erste Schritt in die Befreiung, in Deutschland der erste Schritt ins Konzentrationslager.“


Der Spiegel der Konflikte
„Die Vollversammlung war ein Spiegel der großen und verdrängten Weltkonflikte“, sagte Dietrich Werner vom Hilfswerk „Brot für die Welt“. Zur Weiterarbeit seien alle Gottesdienste der Vollversammlung auf YouTube zu sehen, das Liturgie- und Liederbuch der Vollversammlung stehe zum Download bereit, der Evangelische Pressedienst (epd) veröffentliche die zentralen Dokumente der Vollversammlung in deutscher Sprache. Der erste Band liege bereits vor, zwei weitere folgen.
Drei der vielen Themen der Vollversammlung griff das digitale Austauschtreffen besonders heraus. Das erste war die Situation indigener Menschen. Klimagerechtigkeit und die Rechte der indigenen Völker gehörten zusammen, sagte Anupama Hial, Pastorin der Jeypore-Kirche in Indien und Dalit-Frau. In ihrer Heimat seien 75 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft abhängig. Sie sei oft nur saisonal möglich. Die Menschen zögen auf der Suche nach Arbeit umher. „Reden genügt nicht, wir müssen handeln“, sagte Hial im Blick auf die Klimaveränderungen. Nötig sei unter anderem eine stärkere Vernetzung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit kirchlichen Entwicklungsorganisationen.
Die Muttersprache von Lubina Mahling aus Bautzen ist Sorbisch. Sie berichtete von einer Atmosphäre der „Freude“ und gleichzeitig der „Erschütterung“ bei der Vorkonferenz der indigenen Völker. Sie sei von „Wut und Trauer über den Westen“ geprägt gewesen. „Die westliche Lebens- und Wirtschaftsweise zerstört unseren Planeten, zerstört uns“, war dort zu hören. Wir könnten theologisch viel von den Indigenen lernen, sagt Mahling: „Wir müssen nicht für die Schöpfung beten, als wären wir kein Teil von ihr. Wir sollten stattdessen in den Jubel und die Klage der Schöpfung mit einstimmen.“


Klare Ablehnung jedes Krieges
Die Ukraine-Erklärung, sagte Fernando Enns, der dem ÖRK-Zentralkomitee angehört, sei eine im Konsens verabschiedete „klare Ablehnung des Krieges schlechthin“. Er hätte sich gewünscht, die Erklärung wäre ausführlicher diskutiert worden. Es sei wichtig, auch die Sicht anderer Länder wie Äthiopien oder Brasilien auf den Konflikt zu sehen. Wie Bundespräsident Steinmeier aufgetreten sei, habe leider „nicht zum Dialog geholfen“.
Bischof Ibrahim Azar war aus Beirut zugeschaltet. Er setze sich dafür ein, „dass Christen und Juden im Heiligen Land eine gemeinsame Zukunft haben“. Die Konzentration der Diskussion auf die Frage, ob der Begriff „Apartheid“ in Israel anzuwenden sei oder nicht, sei falsch. Stattdessen sei es wichtig, auf das Leben der Menschen zu schauen. „Der große Fehler ist: wir leben nebeneinander, nicht miteinander.“


"Ökumene des Herzens" - Rund 90 Mal Liebe
Dritter Schwerpunkt war die Ökumene-Erklärung der Vollversammlung, das „Unity-Statement“. Auf sechs Seiten stehe rund 90 Mal das Wort „Liebe“, hat ACK-Geschäftsführerin Verena Hammes nachgezählt. Auch wenn vom Anfangsentwurf wenig übrig und zeitweise jedes Komma diskutiert worden sei, ist sie mit dem Ergebnis zufrieden. Was den Text einzigartig mache, sei vor allem sein Ton. „Die Welt braucht ein Hoffnungszeichen, wie es weitergehen kann.“ „Es ist die Zeit der Ökumene des Vertrauens und nicht des Argwohns“. Zur beschriebenen „Ökumene des Herzens“, brauche es aber nicht nur das Herz, sondern auch den Kopf.
Vasile Octavian Mihoc, Dozent am Ökumenischen Institut in Bossey, ergänzte, Liebe sei „die ständige Antwort auf die Probleme der Welt. Sie zwingt uns, an der göttlichen Verwandlung der Welt mitzuwirken“ und eine „Ökumene der Füße“ und der konkreten Handlungsschritte zu leben.


Wie geht es nach Karlsruhe weiter?
Der internationale „Pilgerweg der Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit“ wird fortgesetzt. Wer im kleineren Rahmen pilgern will, kann das mit der ACK-App „Dein Pilgerweg“ auch für täglich 30 Minuten tun. Ein Liederbuch mit 20 bis 25 Liedern und liturgischen Texten von der Vollversammlung erscheint im Frühjahr 2023. Auch auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag im Juni 2023 in Nürnberg wird die Vollversammlung präsent sein – im „Zentrum Ökumene“ auf dem Jakobsplatz.

weitere Informationen:

Ergebnisse der 11. ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe

Über die 11. ÖRK-Vollversammlung

Dokumente des ÖRK